[app] Djay – das iPad als Plattenspieler

Selbst haben meine tapsigen Finger noch kein zierliches Vinyl auf Plattenspielern gestreichelt. Deshalb blieb es nach der Veröffentlichung von ‚djay for iPadAnfang Dezember bei einem bedingt formlosen Hinweis in diesem Blog. Jetzt habe ich jemanden* gefunden, der Ahnung von der Materie hat und sich über die Weihnachtstage ausführlich mit der Musik-Software beschäftigen konnte.


Film und Werbung beweisen: Jeder halbstarke Jugendliche, der was auf sich hält, besitzt einen lässig neben der Matratze stehenden Schallplattenspieler und bringt in seiner Freizeit als DJ diverse Privatpartys zum Beben. Die Wahrheit sieht dann allerdings doch etwas anders aus: CD- und Vinyl-Verkäufe gehen in den Keller während (illegale) MP3-Sammlungen die Festplatten der Rechner füllen. Trotzdem oder gerade deswegen kann heutzutage jeder DJ sein – irgendwie.

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Mussten die Discjockeys früherer Tage noch kiloschwere Schallplatten-Sammlungen herumschleppen, mit zum Teil obskursten ‚White Labels‘ glänzen und monatelange Übungen von Klangmischungen an den Plattenspielern erlernen, will heutzutage zahlreiche Software den Einstieg erleichtern. Neben Profi-Anwendungen wie ‚Serato Scratch Live‘ oder ‚Traktor Scratch‘, die eher als komplementäre Erweiterung des klassischen DJs gelten dürfen und zahlreiche neue Möglichkeiten an den Turntables und MIDI-Controllern offerieren, buhlt so selbst ein iTunes mit seiner Funktion „iTunes DJ“ um die richtige Beschallung der nächsten Feierlichkeit.

Doch der Touch-Steuerung sei Dank positioniert sich inzwischen auch High-End-Software mit einer elaborierten Wiedergabelisten-Verwaltung auf dem iPad, die neben Neueinsteigern auch erfahrenen DJs einen Blick abknüpft. Das in diesem Blog bereits kurz vorgestellte, vom Mac bekannte djay der Firma algodriddim, startet einen etwas umfangreicher zu betrachtenden (Neu-)Anfang auf Apples Tablet.

Für den Vinylfreund sehr schön: Das übersichtlich aufgeräumte HUD erinnert unmittelbar an zwei klassische Plattenspieler, dessen Setup dadurch intuitiv zugänglich ist. Auf jedes ‚Deck‘ lassen sich sachdienlich, direkt aus der iTunes-Bibliothek, Songs auswählen. Die in den oberen Ecken angelegten, leider etwas kleinen Lautstärke-Reglern, steuern das Laut und Leise der beiden Kanäle. Neben den Plattenspielern befinden sich ‚Pitch-Fader‘, mit denen sich die Geschwindigkeit des gerade laufenden Songs anpassen lässt. So verquirlen sich zwei Musiktitel ineinander. Noch einfacher soll dies mit dem Sync-Button funktionieren. Dieser erfüllt nach einem mehrstündigen Probelauf tatsächlich einen ordentlichen Dienst, sofern man sehr beatlastige Electro- oder Techno-Tracks mischen will. Ein ‚Cue-Point‘, ab dem der Track auf Druck losrennt und so bessere Einstiegspositionen in den Mix ermöglicht, ist ebenfalls anwählbar. Zuletzt kann man mit dem zentriert platzieren ‚Crossfader‘ zwischen den Songs wechseln. Ein Aufnahme-Knopf zeichnet den persönlichen Vielfalt-Mix auf. An den Plattentellern kann man darüber hinaus ein wenig ’scratchen‘, was sich durchaus gelungen auf der Glasscheibe anfühlt.

Bis hierher macht djay ohne Frage sehr viel richtig: Einfache und zugängliche Funktionalität, wenig Firlefanz wie übertriebene Effekt-Parameter sowie ein an das klassische Setup angelegtes Setting, fädeln am DJ-Verständnis an. Wer sich jedoch an einem solchen Arbeitsplatz mehr als Zuhause fühlt, vermisst mit zunehmender Spieldauer einiges. Die zu kleinen Fader sind nicht ausreichend präzise zu steuern was einer gelungenen Song-Mischung sehr viel Geduld abfordert. Insbesondere kurze Tracks führen sich dadurch händisch nur umständlich zusammen. Ein einziger Cue-Punkt bietet zu wenig Entfaltungs-Spektrum – so ‚cuttet‘ und springt man nicht durch Songs.

Der Optimist würde an dieser Stelle Update-Potenzial vermuten.

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Strich drunter: Ist djay eine ernüchternde Software-Dudelei oder die mitreißende Sound-Maschine? Wer mehrstündig auf einer Party auflegt, kommt mit dieser App nicht weit – auch nicht mit Split-Output-Adapter. Das Programm ist lediglich ein schöner Einstieg in die Welt des Plattendrehens, vermittelt jedoch auf einfache Art und Weise dessen Faszination und Spaß.

Wer bereits auflegt, erhält mit djay ein praktisches Tool für unterwegs, um spontan in den Sinn flatternde ‚Mixes‘ zu testen. Ob zwei Songs tatsächlich übereinander gespielt werden können, lässt sich so auszuprobieren. Die Aufnahmefunktion ist tatsächlich ein sinnvolles Notizbuch, um Inspiration für sein nächstes, ‚echtes‘ Set zu erlangen. Zugutehalten muss man djay ohne Frage seinen Preis: Für läppische 20 Euro erhält man in der non-digitalen Welt gerade mal eine Schallplatte. Echte DJ-Ausrüstung liegt ohnehin schnell bei mehreren Tausend Euro.

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Aus diesem Grund darf man die Touch-Plattformen für das DJing auch nicht so schnell abschreiben: Schon eine ’simple‘ App wie djay zeigt, welche Möglichkeiten im virtuellen Auflegen über das iPad schlummern. Auch wenn die Funktionalität eher auf MIDI-Unterstützung komplexer DJ-Software wie Serato gelegt werden sollte: Die Vorstellung, das iPad in ein DJ-Set zu integrieren, ist zumindest mir nach diesem umfangreichen Testlauf nicht mehr fremd.

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* Danke Matthias!