Software-Wettbewerb. Was wäre die Alternative?

Mit iOS 5 rüstet Apple Funktionalität nach, die dessen Kundschaft bislang aus dem App Store mobilisierte. Viele dieser Drittprogramme, die das System bereichern, dürften bei einem großen Teil des Kundenkreises noch völlig unbekannt sein. Deshalb ist es richtig, hier Basis-Bausteine und Standard-Einstellungen nachzuschieben, um genau diesen Nutzern einen (bislang unbekannten) Mehrwert zu liefern. Hand aufs Herz: Was wäre die Alternative?

Nicht ungehört verblieb dazu Kritik, dass Apple sich Ideen und Konzepte anderer Entwickler sowie Mitstreiter-Systemen bedient. Im polemischen Wortlaut der Schreihälse war es dann gleich ‚ein begangener Diebstahl‘ oder ‚der gebeutelter Indie-Entwickler-Rücken‘, auf dem herumgetrampelt wird. Ich hoffe, das technische Verständnis derjenigen, die sich entsprechend äußerten, reicht weiter als diese plakative ‚Alles-nur-geklaut‘-Keule*.

Mit ein wenig Überblick auf die Mobilfunk- und IT-Branche lassen sich die vorgestellten ‚Neuerungen‘ als simple Basis-Technologien deklarieren. Ein Chat-Client (iMessage), eine verbesserte Leseansicht (Instapaper) oder eine Sammelstelle für Benachrichtigungen (Notification Center) sind keine verspielten Gimmicks sondern mittlerweile essentielle OS-Bestandteile. Überall.

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Ohne Frage: Apple ist diesbezüglich spät dran. Reichlich spät sogar. Aber die vorgestellte Implementierung als ‚entwendete Einfälle‘ zu bezeichnen, ist schlicht und ergreifend zu kurz gedacht. Klar: Apple pickte sich die Rosinen aus dem Programmcode-Studentenfutter. Sowohl Jailbreak-Vorschläge (‚MobileNotifier‘) aber auch Mitbewerber-Ideen (‚Palm-Pre-Notification-Bar‘) steuerten Bestandteile bei. Alles dies sind jedoch übergreifende Strukturen, die ins Spektrum für ein Betriebssystem-Grundgerüst fallen. Noch einmal gefragt: Was wäre die Alternative?

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Völliger Quatsch ist natürlich auch, dass einige Programme jetzt überflüssig werden. Nee, eigentlich ist es kein Quatsch, weil dies nur für Apps gilt, die nicht mithalten können. ‚Reminders‚ wird unzähligen ToDo-Listen in ein unattraktives Licht rücken. Richtig. Wer jedoch darüber hinaus mehr (oder speziellere) Funktionen von seiner ‚Getting-Things-Done‘-Software erwartet, greift auch zukünftig zu OmniFocus.

Zweifellos: Die zur Verfügung gestellte Grundversorgung wird einige bislang unentschlossene Käufer vielleicht nicht zur (bezahlten) Third-Party-App greifen lassen. ‚Reminders‘ macht sicherlich in einem begrenzten Rahmen glücklich. Die Verluste an bestehender Kundschaft bei OmniFocus, dürften davon jedoch wenig spürbar ausfallen. Zumindest sollte dieser Personenanteil nicht höher sein, als ganz neue Interessenten, die erst durch Apples ‚Reminders‘ auf das ToDo-Konzept aufmerksam wurden.

Den Hebel, den Apple eindeutig in der Hand hält (und auch nicht loslässt), ist die Standardeinstellung für Programm-Kategorien. Der Webbrowser mit Safari ist hier ein gutes Beispiel. Es gibt für den Nutzer keine Möglichkeit, eine Konkurrenz-Wahl zu treffen. Das kann man kritisieren und nur schwer durch verringerte Komplexität rechtfertigen. Nichtsdestotrotz: Eine Standardeinstellung für (irgendeinen) Webbrowser gehört ins System. Das wird wohl niemand anzweifeln?

An anderer Stelle herrscht dagegen bereits Auswahlmöglichkeit. Ein per Mail zugestelltes PDF lässt sich mit der ganz persönlichen Lieblingssoftware öffnen.

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Ein anderes (gerne zitiertes) Beispiel: Das Entwicklerstudio von ‚Camera+‚ reichte entgegen einer ausdrücklichen Ablehnung – im letzten Jahr – eine Software-Version ein, die über einen URL-Trick den Fotoauslöser auf die Lautstärkeknöpfe verdrahtete. Das muss sich Apple (auf seinem eigenen System) nicht gefallen lassen und warf daraufhin berechtigt die App für ein paar Monate aus dem Store. Unglücklich sieht es trotzdem aus.

Weder zuvor, noch danach, erreichten Fotoprogramme den App Store, die Hardware-Tasten als Schnappschuss-Auslöser missbrauchten. Das in der anstehenden Betriebssystem-Aktualisierung Apple jetzt selbst diese (offensichtliche) Funktion anbietet, ist komplett unabhängig davon zu betrachten – außer man hält diese Idee für eine Weltneuheit…

Obendrein: Die Annahme, dass diese Verknüpfung auch weiterhin den Drittanbietern vorbehalten vorenthalten bleibt, ist nicht bewiesen (aber auch nicht widerlegt). Ein bisschen Druck auf Apple könnte hier nicht schaden, so dass sich Foto-Apps aus Third-Party-Händen weiterhin durch Qualität absetzen (können).

Aber um die aufgeworfene Eingangsfrage „Was wäre die Alternative?“ (endlich) zu beantworten: Keine Lösung ist es, Standard-Funktionen dem OS vorzuenthalten, nur weil man jemandem dadurch auf die Stiefel tritt**.

Für Drittanbieter-Apps gibt es weiterhin genügend Spielraum, sich durch zusätzliche Funktionalität oder intuitive Bedienung abzusetzen. ‚WhatsApp‚ bleibt plattformübergreifend interessant; ‚Instapaper‚ bietet schon allein durchs Acclerometer-Scrolling einen viel größeren Mehrwert als ‚Readinglist‘ und (das kostenpflichtige) Tweetbot hat bereits dem offiziellen Twitter-Client gezeigt, wie man sich einem vermeintlichen Gratis-Goliath (erfolgreich) entgegenwirft.

Oder um mit einem kitschiges Transfer-Zitat von Steve Jobs zu enden: „We have to let go of this notion that for Apple to win, Microsoft has to lose.

* Eine juristische Diskussion über Software- oder Design-Patente sei (für diese Diskussion) ausgeklammert. Ich gehe davon aus, dass keine entsprechenden Verletzungen vorliegen.

** Eine gesprochene Fassung dieser diskussionswürdigen Punkte findet sich in der nächsten Folge ‚Bits und so‚ von (und mit) den Kollegen @kyriii, @timohetzel, @hessi und @fscklog.