‘Webseiten als Apps‘ – und immer an die Leser denken?

Es vergeht selten eine Woche in der ich nicht gefragt werde wo die iPhoneBlog-App bleibt. Meine 23-Zeichen-Antwort: „Mir fehlt der Mehrwert.” Die lange Antwort, die auch mein generelles Problem mit dem 'Webseiten-als-App'-Trend ist, versuche ich hier anzureißen.

Jeder braucht eine App. Alles ist eine App.

Die allererste Frage, die sich jeder Nachrichten-(Blog-)Anbieter stellen sollte, und nur auf diese Kategorie von Anwendungen beziehe ich mich im Folgenden1, lautet: „Was kann ich für meine Leser tun?

Erst danach kann man sich in Details verlieren. „Wie zugänglich sind die Artikel?”, „Wie gut lassen sich die Texte konsumieren?”, „Mit welchen Argumenten überzeuge ich Leser mir einen ihrer wertvollen Homescreen-Plätze zuzuteilen?” oder „Welcher Aufwand ist dafür zumutbar?

Drei häufig genannte Pluspunkte für eine Webseite, die in eine App-Store-Form gegossen wird, gilt es vorab zu entschärfen:

  • Push, der augenblickliche Hinweis über neue Artikel, rangiert bei den Befürwortern gewöhnlich recht hoch. Vergessen wird, dass man die Kontrolle seines Nachrichtenstroms damit aus der Hand gibt. Das bezieht sich sowohl auf die zeitliche Auslieferung (Nachts, im Kino, etc.), das quantitative Aufkommen („Wie oft lasse ich mich nerven?”) aber auch die Qualität („Welcher Artikel ist einen Push wert?”). Wer nicht erst seit gestern Push-Nachrichten empfängt, kennt die versehentliche 'Test-Eilmeldung' oder das klingelnde Pop-up zur Schlafenszeit. Eine (halb-)eigene Infrastruktur, beispielsweise über Broadcasts oder dedizierte Dienste, ist nicht schwer einzurichten und verfügt über weitaus mehr Optionen, die sich auf die persönliche Nutzung besser abstimmen.
  • Offline-Verfügbarkeit. Kümmert das wirklich noch irgendwen im Jahr 2014? Ich frage rhetorisch aber ernsthaft. Die Anzahl der Orte, an denen ich tatsächlich ohne (oder mit sehr schlechtem) Internet dastehe, hat sich inzwischen stark reduziert. Und meistens sind es dann auch Gelegenheiten (beispielsweise im Flugzeug), in denen ich kein aktuelles Tagesgeschehen verfolge, sondern mich zeitloserer Literatur, in Readability oder iBooks, zuwende. Selbst wenn ich an 'Top-Meldungen' Interesse hätte: Ohne Querverweise, auf Originalquelle, Kommentare und Meinungen, sind Nachrichten für mich ohnehin nur noch schwer zu konsumieren (hauptsächlich inhaltlich aber auch durch die Unsitte, bloß keine Leser mit Links von der eigenen Seite wegzuschicken).
  • Layout — gerne auch als 'optimierte Darstellung' bezeichnet. Unabhängig davon, dass ein Großteil aller News-Apps nur eine Webview einblendet, bricht die mobile Ansicht nicht selten in eine unattraktive Listendarstellung um, die sich kaum von einem gewöhnlichen Feedreader-Abbild unterscheidet. Einer der wenigen positiven Nebeneffekte: Werbebanner kippen ebenfalls weg. Dafür nimmt man jedoch oft ein extrem abgehangenes Design in Kauf (ungleich hübscher RSS-Software).

Der Browser, die bessere Wahl.

Auf die (vermeintlichen) Pluspunkte folgt die Kritik. Durch welche Feuerreifen springt der Leser für eine News-App?

  • Update-Pflicht. Lokale Software-Pflege ist mittlerweile leicht; die serverseitige Aktualisierung des Webauftritts bleibt jedoch unschlagbar. Bei App-Updates besteht immer die Möglichkeit, dass etwas reißt, dass man seine Leser mit (technischen) Informationen, die nicht im Geringsten ihr Problem sind, belästigen muss. In fünf App-Store-Jahren gab's hier schon alles. Von: „Bitte noch einmal neu Einloggen" bis zu „Installiert die App doch einfach neu". Durch den App-Store-Prüfprozess geschieht die Behebung von nervigen Fehlern nicht im Handumdrehen.
  • Logins. Eine News-App, die einen eigenen Browser anbietet, hat keinen Zugriff auf die Passwörter im iOS-Schlüsselbund, den iCloud-Tab-Sync oder individuelle Lesezeichen. Wie oft investierte ich schon Extra-Minuten nur um einen simplen Flattr-Klick abzusetzen (weil mein Third-Party-Browser im Twitter-Client sich nicht den Login speicherte)? Antwort: zu oft. In einem Webview-Webbrowser ist man nie Zuhause, sondern immer nur Gast.

Wo bleibt also der Leser, die Leserin? Wie definiert sich der Mehrwert für seine/ihre Nutzung einer Webseite, die lediglich in eine App gestopft wurde?

Aus Perspektive der Kunden sehe ich selten Vorteile. Natürlich bestätigen Ausnahmen die Regel. TouchArcade verquickt beispielsweise ein Game-Review mit der dazugehörigen Diskussion im Forum. Das schafft die Webseite so nicht. News-Aggregatoren wie reddit oder Hackers News profitieren von dedizierten Apps, weil deren Webauftritte eine Katastrophe sind. Eine bessere Darstellung und ein angepasste Navigation über Gesten macht hier einen deutlichen Unterschied auf 4-Zoll.

Nicht jede Webseite braucht eine App.

Es ist keinesfalls Lieblosigkeit, mit der (große) Nachrichten-Webseiten ihre Apps aufstellen. Die Anwendungen sind häufig einfach nur überflüssig. Wer einmal das Paradebeispiel der New York Times auf dem iPad ansprang, will garantiert nichts mehr von der Download-App hören. Ein (responsiver) Webauftritt kann soviel besser sein.

Realität ist: Die Vorteile einer dedizierten News-App liegen auf Seiten der Anbieter. Die App eröffnet ein (potenzielles) Monetarisierungsmodell, bindet Leser und bekommt im App-Store-Verzeichnis und auf dem Homescreen seiner Nutzer mehr Sichtbarkeit.

IPhoneBlog de Paper 101

Natürlich bleibt 'die App' nur ein Angebot. Niemand ist verpflichtet die Nachrichten eines Blogs oder einer News-Schleuder in Form ihrer App-Store-Software zu konsumieren. Und trotzdem darf man den fehlenden Respekt bemängeln, eine App anzubieten, die hauptsächlich einen Mehrwert für seinen Betreiber schafft. Volltext-RSS-Feeds sind tabu, zusammengestrichene Download-Programme dagegen gang und gäbe. Einen derart gedankenlosen Umgang mit der Zeit von den eigenen Lesern halte ich für fahrlässig.


  1. Mir ist bewusst, dass ein derartig ungezielter Rundumschlag unfair ist. Eine konkrete Zuordnung sei den Interessenten der jeweiligen News-Angebot zugeschrieben. Vorlieben fallen nämlich ganz unterschiedlich aus. Wem eine Publikation jedoch tatsächlich wichtig ist, den kümmert eine richtige Verteilung von Ressourcen und Prioritäten.