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Google Nexus One

Seit vier Wochen besitze ich das Smartphone ‘Nexus One’ von Google. Das ist die erste Hardware-Edition des Suchmaschinenherstellers, die in Zusammenarbeit mit HTC entstand. Das Android-basierte Gerät wird derzeit nur in Nordamerika sowie den Testmärkten in Großbritannien, Singapore und Hong Kong verkauft. Die Bestellung verläuft über die Google-Webseite http://www.google.com/phone/, und lässt sich sowohl mit als auch ohne Vertrag bestellen. Eine Gravur auf der Rückseite erfolgt optional, die Bezahlung (weniger optional) durch Google Checkout.

Meine Bestellung verließ an einem Dienstagabend meinen Browser und lag bereits am Freitagmorgen auf der Fußmatte meines San Francisco-Kontakts. Zwei Tage später durfte ich die iPhone-Konkurrenz in München in Empfang nehmen. Freigeschaltet für alle Simkarten – ‘unlocked’ – kostet der Spaß $529 US-Dollar. Subventioniert gibt es das GSM-Gerät mit einem zweijährigen Vertrag für $180 US-Dollar. Der CDMA-Bruder, für die Verwendung im Verizon-Netz, soll in Kürze folgen. Google möchte noch in diesem Jahr auch direkt den deutschen Markt bedienen. Vodafone ist dafür als Subventionspartner im Gespräch.

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Warum Android

Ein Scheuklappenblick ist nie zu empfehlen. Tagtäglich setze ich mich im Zuge der iPhoneBlog-Berichterstattung auch mit seinen Konkurrenten auseinander. Persönliche Praxiserfahrung für diese Systeme kann dafür nie schaden.

Die ersten ,Hands On‘-Berichte waren sich im Januar ziemlich einig: wenn man ein Android-Phone ausprobieren wollte, ist das Nexus One die derzeit herausstechende Hardware. Des Weiteren kommt zum Tragen, dass es sich um ein individuelles Modell handelt, welches in eine Konkurrenzbeschreibung zum iPhone gesetzt werden kann. Aus diesem Grund soll mein kurzer persönlicher Abriss auch nicht alle Einzelheiten der Android-Plattform abfeiern, sondern eher die Perspektive eines (verwöhnten) iPhone-Kunden darstellen. Ich habe bewusst einen so langen Testzeitraum gewählt, um die eindeutig andere Philosophie des Gerätes zu verstehen.

Wolkenplatz

Jason Snell hat für die Macworld vor ein paar Tagen eine wirklich gelungene Nexus One-Abhandlung aus iPhone-Perspektive verfasst. Darin sprach er unter anderem den Umstand der ,Over the air‘-Synchronisation an: Musik-Download via Amazon MP3-Store werden direkt auf dem Gerät erledigt. Nachdem man seinen Gmail-Account eingetragen hat, synchronisieren sich alle Online-Kalender, Kontakte und Postfächer mit dem Smartphone. Sogar komplette Firmware-Updates, wie beispielsweise die kürzlich veröffentlichte Multitouch-Softwareimplementierung, gelingen ohne den Anschluss an einen Computer.

Bei dem simlockfreien Gerät legt man eine beliebige Telefonkarte ein, verknüpft sich bei Bedarf mit dem nächsten WiFi-Netzwerk und ist startbereit. Keine Aktivierung, keine USB-Synchronisation und vor allem kein iTunes. Zumindest die Ersteinrichtungen müsste auch für iPhone-Kunden genauso funktionieren.

Frickelig wird es, wenn man die wechselbare SD-Karte – in einem Art Festplattenmodus – mit seinem Computer verbindet, und von dort Dateien auf die Speicherlösung werfen möchte. Alles, was sich nicht in der ,Wolke‘ befindet, muss über Dateistrukturen, Ordner-Bäume oder Drittanbieterprogramme wie doubleTwist erledigt werden.

Es gibt Zusatzsoftware im Android Market, diese einem den USB-Sync vereinfacht. Die Ausrichtung ist jedoch ohne Frage größtenteils auf die reine Online-Nutzung ausgelegt.

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Market

Was für das iPhone der App Store ist, heißt an dieser Stelle ‘Android Market’. Derzeit fasst das Angebot an Dritthersteller-Software lediglich wenige tausend Programme, machte jedoch innerhalb kürzester Zeit wahre Entwicklungssprünge. Alleine in den letzten vier Testwochen haben sich neue Strukturen, Kategorien und Layout-Veränderungen eingebürgert. Der Software-Katalog leidet derzeit noch unter zu wenigen nützlichen Benutzer-Rezensionen und kämpft mit einem uneinheitlichen Währungssystem. Der Anwender zahlt per Google Checkout manchmal in Dollar-, Euro-, Yen- oder Pfund, bekommt aber lediglich eine grobe Angabe, welcher Betrag (entsprechend des Wechselkurses) auf seiner Kreditkarte später erscheinen könnte.

Ohne Apples Genehmigungsprozess fallen die Hürden für eine Programmveröffentlichung im Android Market ziemlich niedrig aus. Das führt bis jetzt zu einigen wenigen ,Erwachsenenprogrammen‘ und zu einem reichhaltigen Katalog an Musik-Software der eher ‚grauzonigen‘ Art. Nach Schlagwörtern lassen sich damit Songs auf kryptisch-bezeichneten Servern aufspüren, streamen und direkt herunterladen. ,I Music Tao‘ ähnelt dem Amazon MP3-Angebot, subtrahiert jedoch das Bezahlsystem für die Musiktitel.

Wer sich durch die verzweigten Einstellungen am Smartphone wühlt, findet eine Option mit der sich auch ,unautorisierte‘ Programme aus dem Netz installieren lassen. Damit verlässt das Android-Betriebssystem seine Türsteherposition und übergibt dem Benutzer die Verantwortung welchen Softwarecode er auf seinem Gerät installiert.

Wer eine Software wieder entfernen möchte, deinstalliert es aus einer Art Programmverzeichnis. An dieser Stelle im Betriebssystem, aktuell mit Firmware 2.1 – Update 1, finden sich auch die derzeit ausgeführten Dienste, die im Hintergrund ihre Bereitschaft aufrechterhalten.

Background

So wünschenswert die Hintergrundprozesse für viele Anwendungen auch sein mögen, das hier implementierte Prozedere zu intransparent. Insbesondere was die Batterielaufzeit angeht. Dem Anwender wird wie in dunklen früheren Smartphone-Tagen zuviel zugemutet, indem er für einen passablen Batterieverbrauch verantwortlich gemacht wird. Meine Zeit, manuell Anwendungen abzuschießen und bei Bedarf wieder neu zu starten, ist mir eigentlich zu kostbar.

Für Musik-Streamingservices wie Last.fm oder die Podcast-Anwendung ‘Google Listen’ ist diese Lauffähigkeit im Hintergrund jedoch genial. Genauso sinnvoll lässt sich auch Google Latitude zur Standortbestimmung aktivieren. Auf einer Autofahrt durch die halbe Republik konnten meine Eltern konstant verfolgen, wo ich mich gerade befand. Auf dem iPhone würde die gleiche Funktionalität bedeuten, die Anwendung komplett im Vordergrund laufen zu lassen und sich damit in allen anderen Bereichen stark einzuschränken.

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Benachrichtigungen

Zieht man die kleine Statusleiste von oben wie eine Jalousie herunter, lassen sich hier Informationen zu neuen Chat-Nachrichten, Anrufen, Kurzmitteilungen oder Downloads abrufen. Eigentlich ideal, um seinen Arbeitsrhythmus nicht zu unterbrechen und trotzdem einen ungebremster Nachrichtenfluss zu konsumieren.

In der Praxis jedoch bin ich entweder schon zu verdorben von aufspringenden Push-Benachrichtigungen, oder die Implementierung stößt an ihre Grenzen. Bei schon wenigen Ereignissen füllt sich die Statusleiste mit elendig vielen Symbolen, die kein Mensch mehr auseinanderhalten kann. Teilweise ist gewisse Dritthersteller-Software nicht intelligent genug, ihre Icons zu bündeln und ‘müllt’ die Informationsleiste zu.

Individuelle Gestaltung

Die verschiedenen Android-Bildschirme lassen sich mit Programmen aus dem installierten Software-Pool einzeln bestücken und frei anordnen. Ähnlich einem Betriebssystem-Desktop müssen nicht alle Programmsymbole in Reih und Glied stehen. Individuelle Themes, Objekte und Hintergründe sind selbstverständlich. Die animierten Wallpapers, bei denen beispielsweise kniehohes Grass sanft im Hintergrund wippt, gefallen. Im Android Market gibt es davon unzählige mehr, die zwar nicht der Akkuleistung ein Lächeln einhauchen, aber zumindest dem Benutzer.

Außerdem darf man sich mit Widgets versorgen. Extrem hilfreich empfand ich den von Haus aus installierten Google News-Infokasten, der wie eine Art Nachrichtenticker funktioniert. Auf diese Weise lassen sich auch Kontakte oder wichtige Knöpfe, beispielsweise für die Bildschirmhelligkeit auf dem Homescreen ablegen.

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Handhabung

Wenn man auch nach vier Wochen noch Einstellungsoptionen findet, die man zuvor noch nie gesehen hat, darf das Wort ,Lernkurve‘ eigentlich gar nicht mehr in den Mund genommen werden. Trotzdem wühlt man sich durch die Optionen und über die vier fest beschrifteten Touch-Tasten am unteren Bildschirm. Die Bedienung wird mit zunehmender Zeit nicht logischer, geht aber irgendwann in Fleisch und Blut über – zumindest das unterbewusste Instinktverhalten weiß wo zu drücken ist.

Jemand, der zuvor ein iPhone verwendet hat, ist auch nach der ersten Woche noch komplett verloren. Die ,Zurück-Taste‘ navigiert teilweise systemweit über verschiedene Programme zurück zum Hauptmenü, kommt auf der anderen Seite jedoch auch vermehrt zum Einsatz um Pop-Up Fenster zu schließen.

Die Tastatur enthält ein geniales Erkennungssystem für Wörter, so dass Buchstabenkombinationen, die das interne Wörterbuch noch nicht kannte, bei der nächsten Verwenden gleich vorgeschlagen werden. Die Erkennung ist bereits oft nach den ersten 2-4 Buchstaben eines Wortes richtig, was einem erhebliche Schreibarbeit abnimmt.

Leider lässt sich die Sprache der Tastatur nicht ohne einen Umweg über die Einstellungen wechseln, was für multilinguale Benutzer extrem nervig ausfällt. Außerdem vermisse ich die Lupen-Funktion, mit der beim iPhone eine Textstelle ausgewählt wird. Bei einer falschen Schreibweise auf dem Nexus muss ich mit Glück versuchen die richtige Stelle auf dem Bildschirm zu berühren, oder den Trackball nutzen.

Der leuchtende Ball informiert durch Blinken über neue Ereignisse. Leider lässt sich mit Boardmitteln nicht spezifisch genug konfigurieren, wie oft und für was ein Leuchten ausgelöst wird. Menschen, die mehr als eine E-Mail oder einen Anruf pro Tag bekommen, finden sich besser mit dem konstanten Lichtkegel ab.

Das Problem mit gekennzeichneten Hardware-Tasten ist ihre fixierte Position. Dreht man das Gerät seitwärts, geht die Funktionalität zwar nicht verloren, jedoch die zuvor angeeignete Handhabung. Des Weiteren hat es mich rund zwei Wochen gekostet, bis ich darauf eingestellt war, dass die virtuellen Tastaturanschläge und ‚Hardware‘-Knöpfe leicht oberhalb der eigentlichen Darstellung zu treffen sind.

Ganz mit freien Händen funktioniert die Eingabe der Suchbegriffe über die Spracherkennung. Ganze (englischsprachige) Emails lassen sich zumindest mit meinem Akzept damit nicht verfassen. Einzelne Begriffe analysiert die online-angebundene Software schnell und präzise.

Ladezyklen

Die erste Batterieladung in der anfänglichen ,Ausprobierphase‘ bewältigte das Nexus von Sonntagmorgen 8 Uhr bis Montag Nachmittag 16 Uhr. Die zweite Ladung setzte sich am Dienstag um 8 Uhr in Bewegung und hielt bis Mittwoch 20:30 Uhr. Das Nexus One lässt sich unter den Rock schauen, welche Prozesse die meiste Batteriekraft verschluckt haben. Im vollen Einsatz nimmt das (übrigens grandiose 480 x 800 Pixel große) Display rund 70-Prozent davon ein.

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Fazit

Nach meiner ganz persönlichen Anschauung bereichert das Android-Betriebssystem – in dieser Hardware-Revision von Google – den Smartphone-Markt. Und das, obwohl es haarsträubende Fehler im Software-Design mitbringt und generell eine intuitive Bedienung vermissen lässt. Ich mag die Abwechslung und die so freizügige Philosophie, die das Gerät verkörpert. Kollege Pritlove sagte bei Philip Banse (Link) kürzlich so schön: “Google hat den Mut zum Fail” – und keine Charme auch mit Projekten zu scheitern.

Weder das Google Nexus One noch das Android-OS sind ein Misserfolg. Sie fahren ihre Karosserie derzeit lediglich mit einem anderen Kraftstoff. Dieser bedient im Moment mehr die Bastler-Schiene, in welcher viel ausprobiert, verworfen und neu zusammengesetzt wird. Einen Vergleich mit Linux traue ich mir nicht zu. Trotzdem lässt sich festhalten, dass das Nexus Bedürfnisse bedient, die mit der kommenden Windows Mobile 7-Serie oder dem iPhone eindeutig nicht abgedeckt werden (sollen). Genau aus diesem Grund würde ich das Gerät in seiner jetzigen Form auch nicht dem typischen ‘Anwender’ an die Hand geben. Im optimistischsten Fall spürt er nur 20-Prozent des verbauten Funktionsumfangs auf; als pessimistischste Prognose endet der Testlauf mit kompletter Verzweiflung.

Die Android-Plattform stellt sich aus meiner rosafarbigen iPhone-Brille als (frei-)sprudelnder Ideenpool dar, der einige clevere Ansätze mitbringt und die richtige Stoßrichtung aufweist. Ob sich diesem Ansatz ein intuitives Bedienkonzept überstülpen lässt, muss sich noch zeigen.