Apple Watch: Technik, die jeden begeistern will.

Den Begriff “Lockvogelangebot” kennt jeder, es handelt sich um ein superbilliges Produkt, das die Leute in den Laden locken soll. Fast unbekannt ist der reverse Lockvogel, genannt “Decoy Effect” oder “Asymmetrischer Dominanzeffekt”.

Warum euer Preis-Spott Apple Freude macht

Sascha Lobo argumentiert, dass der (unerreichbare) 30.000-Euro-Monster-Fernseher, der den (greifbaren) 3.000-Euro-Wohnzimmer-Fernseher im Technikmarkt günstig aussehen lässt, vergleichbar ist mit der Apple Watch Edition. Weil gegenüber der goldenen Edition, alle Modelle der Sport- und Watch-Serie preiswert erscheinen.

IPhoneBlog de Watch Edition a

Kein uninteressantes Gedankenspiel: Die Edition aus Gold und Roségold steckt zumindest den maximalen Preisrahmen ab. Der Vergleich übersieht aber, dass man natürlich viel mehr Fernsehfläche für die absurde Summe bekommt, wohingegen jede Apple Watch die identische Technik (und Größe) hat. Die Apple Watch Edition ist deshalb eher das ‚Bang & Olufsen‘-Modell unter den Fernsehern – teuer, ohne (technischen) Mehrwert und in erster Linie ein Status- oder Design-Statement.

Gold und Roségold bedienen eine Kundschaft (aus China), die sich aus Prinzip nicht mit Mode-Accessoires im dreistelligen Preisbereich auseinandersetzen. Apple würde wahrscheinlich keinen Cent zusätzlich verdienen, wenn die Edition bereits ab 5.000 Euro zu haben wäre. Eventuell wertet ein derartig niedriger Preis (im Vergleich zu anderen Uhrenmarken) sogar das Produkt ab. Und deshalb wäre es dumm, diese Zielgruppe, in dieser Preishöhe, nicht zu bedienen.

John Gruber und Matthew Panzarino diskutierten in der letzten Episode von ‚The Talk Show‘ über das ‚Spring forward‘-Event und wunderten sich über Apples zurückhaltende, fast schüchterne Erwähnung der Edition. Tim Cook nannte in seiner Präsentation den Preis, wollte ihn aber nicht hinter sich auf der großen Leinwand ausgeschrieben sehen. Auch das goldene Produktvideo, das sich auf Apples Webseite findet, übersprang er. Dagegen erhielten die Filmstreifen für die Modelle aus Edelstahl und Aluminum eine prominente Sendezeit. „Man hätte die Edition mutiger verkaufen sollen“. „Own it!“ waren die Aussagen im Podcast.

Panzarinos (cleverer) Verkaufsvorschlag für Tim Cook (ab 2:47:50): „This is a special edition. We don’t know how long we are going to offer it. It is exclusive. It is limited quantities but we loved the process so much that we had to make it.“

Das Jonathan-Ive-Feature „How an industrial designer became Apple’s greatest product.“ im New Yorker beschrieb, dass es Apple-intern gegensätzliche Meinungen zum Gold-Modell gab.

Bob Mansfield, then closely involved in the watch project, said that Ive’s role was to be “himself and Steve” combined. Yet Ive still had to make a case to Apple, and Mansfield recalled “a lot of resistance.” It wasn’t clear how the company would display such things in stores; there were also concerns about creating a divide between wealthy and less wealthy customers.

Dieser Einfluss mag bei der verhaltenen Ausführung der letzten Produktpräsentation eine Rolle gespielt haben. Ein solches Argument übersieht allerdings, dass kein zukünftiger Kunde der Watch Edition eine Apple Keynote schaut. Ja, man hätte die teurere Kategorie besser verkaufen können. Selbstsicherer. Die Zielgruppe saß jedoch weder im Publikum (Fashion-Presse war nicht vor Ort) noch vor dem Livestream. Warum dafür also Zeit aufwenden? Warum die Zeit der tatsächlichen Zuschauer verschwenden. Die Werbeanzeigen in Vogue und Co., in einer Welt mit Preislisten statt Preisaufklebern, erreichen die Zielgruppe dort ohnehin treffender.

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Für kein Apple Produkt war die Zielgruppe jemals breiter; die Auswahl an unterschiedlichen Modellen zahlreicher. Apple hat in den letzten 15 Jahren noch nie mehr Variationen als eine Handvoll unterschiedlicher (Gehäuse‑)Farben oder ein paar überschaubare Konfigurationsmöglichkeiten angeboten. Die Zielgruppe, und wie man sie jetzt anspricht, ist für Apple Watch … anders.

Apropos Zielgruppe: Ein Produkt, das mit Apple Watch so gut wie gar nicht in Konkurrenz steht, ist die Pebble. Die (Technik‑)Presse wirft diese beiden Uhren, insbesondere durch die aktuelle Kickstarter-Aufmerksamkeit, gerne in einen Topf. Dort gehört sie aber nicht rein. Funktionsumfang, Preis und Leistung könnten nicht unterschiedlicher ausfallen. Die OUYA konkurriert schließlich auch nicht mit der PlayStation 4 obwohl sie Videospiele abspielt. Das ist nicht wertend gemeint, beschreibt aber die klare (Zielgruppen‑)Trennung der beiden Produkte.

Die Pebble wird sich mit der Veröffentlichung von Apple Watch eine neue Nische zwischen klassischer Armbanduhr und Mini-Computer suchen müssen. Ein paar Push-Benachrichtigungen, ein günstigerer Preis und fünf Tage Akkulaufzeit sind keine Argumente, die in den nächsten zwei Jahren noch ziehen.

Warum ich die Pebble erwähne? Sie leistete Pionierarbeit als eines der ersten Produkte am Armgelenk. Sie sprach Menschen mit Technik-Liebe an. Apple Watch führt auf eine gewisse Art diese Idee fort, wirft seinen Schatten aber breiter. Apple Watch soll jeden ansprechen. Jeden, der bereit ist dafür in Version 1.0 zwischen 400- und 1.000-Euro – beziehungsweise 11.000- bis 18.000-Euro, auszugeben.

Apple unterteilt nicht nach Kollektionen für Mann und Frau, sondern beschränkt sich auf die Größe. Es ist keine Nerd-Uhr; kein Vertu-Handy. Apple baut damit wie bisher Technik für jeden – egal welche Ausführung gefällt. Deshalb ist Apple Watch so spannend. Deshalb sehen schon jetzt die Umfrageergebnisse – ähnlich wie damals beim iPad – vielversprechend aus.

Es gibt dieses berühmte Zitat von Wayne Gretzky, das Steve Jobs liebte: „Skate to where the puck is going, not where it has been.“ Für Apple Watch gilt genau das nicht. Unser Handgelenk ist weitgehend unerforschtes Terrain – ganz anders als das Telefon oder das Tablet. Apple skatet diesmal nicht dorthin wo der Puck vermutlich landet, sondern bestimmt seine Flugbahn.