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Apple Watch Series 4

Der folgende Artikel ist zirka 13.000 Zeichen lang. Um ihn ein bisschen zugänglicher zu machen, habe ich ihn eingesprochen. Für Abonnenten von #one findet sich diese Audiodatei zusätzlich im persönlichen RSS-Feed.

Letztes Wochenende flimmerte Christopher Nolans ‚The Prestige‘ über meinen TV. Der Film erinnerte mich an M.G. Sieglers brilliant zusammengeschriebenen TechCrunch-Artikel aus dem Jahr 2012: „Apple’s Magic Is In The Turn, Not The Prestige“ .

Apple took something ordinary, a phone, did some extraordinary things to it, and then made it re-appear in grandiose fashion. It’s a great trick. It’s so good, in fact, that I think it’s fair to call it true magic. […]

Apple’s focus remains on The Turn, the process by which they make the ordinary extraordinary. But even with a masterful Prestige, it’s hard to convey that commitment. That is, until you walk into an Apple Store and pick up the product.

Damals ging es ums iPhone 5; der Artikel ließe sich heute – sechs Jahre später – aber auch so über die Apple Watch verfassen.

Auf der Suche nach den großen Neuerungen, den Upgrade-Argumenten und den kleinen Details, die uns an neuen Produkten wie der Series 4 interessieren, geht manchmal diese „extraordinarity“ verloren, die diesen Computern an unserer Handgelenken innewohnt. Wenn wir heute über die „Pros” und „Cons” der Apple Watch diskutieren, sprechen wir ganz generell über Technik, die vor vier Jahren schlicht nicht existierte.

Und trotzdem ist es nicht immer hilfreich Parallelen in der Vergangenheit zu suchen. Manchmal ist es sinnvoll sich mit dem hier und jetzt zu beschäftigen: Einige Technikprodukte sind lediglich logische Weiterentwicklungen; sie bauen nur die Räuberleiter für zukünftige Geräte. Einige Computer sind nach ihrem Zyklus vergessen; sie sind nur der Vorgeschmack auf etwas zukünftiges.

Apple Watch Series 4 ist jedoch nicht nur ein Vorgeschmack: Es ist die erste Smartwatch, die sich absetzt. Sie betritt tatsächlich Neuland.

Blickt man auf die Hardware, verlief die Entwicklung der Apple Watch absolut vorhersehbar. Nach dem initialen Release folgte eine Art Fließband-(Weiter‑)Entwicklung: Series 2 brachte uns GPS und ein schwimmfestes Design; Series 3 lieferte LTE. Apple Watch Series 4 erdenkt nicht nur seinen Bildschirm neu, sondern springt nach einem dreijährigen Vorgeplänkel mit beiden Beinen ins medizinische Umfeld.

Gesundheit

Apples neue Uhr zeigt sich mit einer Rückseite aus schwarzer Keramik und Saphirglas. Im Unterschied zum Gehäuseboden älterer Modelle wirkt das optisch weniger technisch; weniger einschüchternd. Dort ist ein optischer Herzsensor untergebracht sowie zwei Elektroden für den elektrischen Herzsensor. Die Apple Watch wertet damit (wie bisher auch) Pulswerte periodisch aus.

Das neue Modell informiert euch über Herzfrequenzen, die auffällig hoch beziehungsweise niedrig ausfallen. Mit der dauerhaften Erhebung dieser Daten fallen möglicherweise Unregelmäßigkeiten auf, die man von einem Arzt untersuchen lassen kann. Sich die Übersicht der kompletten Aufzeichnung in der Health-App auf dem iPhone anzuschauen (beziehungsweise anschauen zu lassen), um eventuell Herzrhythmusstörungen aufzuspüren, hat für mich immer noch etwas sehr Gattaca-esques.

Der zweite Aspekt ist das Ein-Kanal-EKG (Elektrokardiogramm), das in den USA noch bis Ende des Jahres verfügbar sein wird. Die Funktion wird über ein Software-Update – in einer separaten App – ausgeliefert. Wie die initiale Beschränkung auf die US-Region stattfindet, bevor die Funktion es in andere Länder schafft, wollte Apple mir nicht verraten.

Ich konnte dem 30-Sekunden-EKG bereits einmal beiwohnen: Trägt man seine Apple Watch am linken Armgelenk, legt man eine Fingerspitz der rechten Hand auf die digitale Krone um den Stromkreis zu schließen. 30 Sekunden später empfängt das iPhone die Messwerte, die sich als PDF exportieren lassen. Ein Arzt kann daraus Anzeichen von Vorhofflimmern (AFib) – eine Unregelmäßigkeit im Herzrhythmus – erkennen. Die unkomplizierte Erstellung sowie die Regelmäßigkeit, mit der ein solches EKG angefertigt wird, kann kein Arztbesuch leisten. Zwar lassen sich viele andere Herzerkrankungen damit nicht diagnostizieren, aber potenziell betroffene Personen haben für Vorhofflimmern eine viel höhere Chance diese Herzrhythmusstörung zu erkennen, weil die Tests nicht stationär und nur zu einem einmaligen Zeitpunkt stattfinden.

Oder um es ein wenig provokanter zu formulieren: Apple Watch konkurriert nicht mit Krankenhäusern, sondern will durch eine frühzeitige Erkennung einen solchen Krankenhausbesuch komplett vermeiden.

Series 4 kombiniert eine dauerhafte Aufzeichnung von Gesundheitsdaten, die sie mit komplexen mathematischen Modellen für Krankheitsbilder und Prognosen kombiniert. Apple Watch verlässt damit den Orbit, in dem alle anderen ‚Fitness Tracker‘ kreisen.

Es wird noch Jahre dauern, bis die Messwerte der Apple Watch von den Gesundheitsbehörden der unterschiedlichen Länder tatsächlich zugelassen sind und in der Praxis zum Einsatz kommen. Bis das passiert, sind bereits die nächsten Türen aufgestoßen, bei denen mehr Sensoren in der Uhr und in den Armbändern, mehr Informationen in eure persönliche Gesundheitsdatenbank schreiben.

Ich schrieb bereits zuvor: „In ein paar Jahren wird es uns fahrlässig vorkommen, wenn wir nicht selbst unsere Gesundheits- und Fitnessdaten aufzeichnen, im Blick behalten und entsprechend reagieren.

Hier gilt übrigens auch das Stichwort: Sturzerkennung. Automatisiert einen Notruf abzusetzen beziehungsweise eine Textnachricht mit eurer Örtlichkeit an den eingetragenen Notfallkontakt zu schicken (Health ➝ Notfallpass), sollte man als Anwendungsfall nicht nur älteren Menschen zuschreiben.

Der Screen

Ich trage die Series 4 nun seit exakt vier Wochen – jeden Tag, ohne Ausnahme; egal ob Wochenanfang oder Wochenende und unabhängig davon wie früh oder spät es am Tag ist. Exakt so, wie ich auch die Apple Watch Series 3 im zurückliegenden Jahr am Handgelenk trug. Und genauso wie alle Modelle zuvor, die es seit April 2015 zu kaufen gibt.

Die Series 4 ist das erste Apple-Watch-Modell, das anders am Handgelenk liegt. Die Uhr stößt sich weitaus weniger vom Arm ab. Der geringere Höhenunterschied beträgt zwar nur 0.7mm (zirka 9% der Gesamthöhe), aber das Gefühl, mit dem die Uhr unter einen Hemdsärmel rutscht, ist sehr auffällig.

Bis zur Series 4 trickste Apple mit dem tiefschwarzen OLED-Bildschirm, bei dem der Screen mit dem schwarzen Rahmen verschmolz und nur im direkten Sonnenlicht auseinanderzuhalten war. Series 4 rundet nicht nur Ecken ab, sondern erstreckt nun den Bildschirm tatsächlich bis in jede dieser Ecken. Damit erkämpft man sich nicht nur auf einen Schlag 30% (!) mehr Bildschirm, sondern ein Design, das auffällig weniger klozig daherkommt.

Es ist unglücklich und unverständlich, aber zum Start rennt die Hardware der Software davon. Vielen UI-Elementen aus watchOS fehlt eine explizite Anpassung für den größeren Bildschirm: Im besten Fall ist die Darstellung einfach nur größer und damit etwas leichter zu bedienen (beispielsweise die Passwort-Eingabe nach einem Neustart). Einige Menüs scheinen bei der Adaption auf die neue Screen-Größe aber komplett vergessen worden zu sein.

Die Zifferblätter – sprichwörtlich die Gesichter der Uhr – gehören dazu. Infograph und Infograph Modular – die zwei neuen Zifferblätter – sind ein frischer (Neu‑)Anfang. Feuer, Wasser, flüssiges Metall und Dampf sind Hingucker. Sie sind das krasse Gegenteil von Infograph und Infograph Modular, weil sie keine Informationen neben der Zeit bereitstellen. Das aber alle ‚Legacy‘-Zifferblätter nahezu keinerlei Berücksichtigung erhielten, ist mir absolut unverständlich.

Teilweise funktionieren alte Komplikationen nicht auf den neuen Zifferblättern – einige Apple-eigene Komplikationen eingeschlossen. Dass diese Updates noch fehlen, ist absurd. Alte WatchFaces wirken dadurch schlicht alt und die neuen Zifferblätter einfach noch nicht fertig.

Während sich watchOS 5 auf der Series 3 als ein sehr runder Release anfühlt, wirkt die gleiche OS-Version auf der Series 4 nur wie ein „work in progress“. WatchOS 6 sollte im nächsten Jahr seinen primären Fokus auf die Zifferblätter legen.

Die Krone

Meine absolute Lieblingsfunktion der Software ist eine Hardware-Neuerung: Die digitale Krone liefert nun erstmals haptisches Feedback. Beim Scrollen durch Listen – wie beispielsweise dem App-Ordner oder dem Siri-WatchFace – spürt man Mini-Vibrationen. Dabei rüttelt es nicht an der kompletten Uhr, euer Gehirn verlinkt das Feedback aus der Krone direkt mit einer Aktivität, die ihr gerade am Bildschirm ausführt. Die eigentliche Bedienung wirkt dadurch präziser; man fühlt sich vielmehr in Kontrolle.

Ich bevorzuge seit der ersten Apple Watch die digitale Krone als Befehlsgeber gegenüber dem Finger auf dem Touchscreen. Es ist höchst befriedigend die Uhrzeit von einem Wecker über die simple Drehung der digitalen Krone einzustellen. Das haptische Feedback liefert mir eine Rückmeldung über meine Interaktion, die nich nur punktgenau ist, sondern auch ein bezauberndes Gefühl hinterlässt.

Ich persönlich habe mich optisch nicht am roten Punkt auf der digitalen Krone von dem LTE-Modell der Series 3 gestört. Ich fand jedoch er raubte der Apple Watch ein wenig ihre ansonsten so exzellente Zurückhaltung. Die Series 4 erfüllt diesbezüglich einen weitaus besseren Job.

Die Seitentaste ist erstmals komplett im Gehäuse eingelassen, wodurch man sie weniger unbeabsichtigt drückt. In erster Linie ist es aber eine rein optische Änderung. Die Seitentaste nimmt sich zurück und betont damit stärker die digitale Krone.

Chips

Meine Series 3 fühlte sich das komplette letzte Jahr ausreichend schnell an. Series 4 knuspert noch einige Sekunden mehr von den Ladezeiten für Apps und generell der Navigation durch watchOS ab. Startet ihr eine Software, die sich nicht in eurem Dock befindet, benötigte die Series 3 dafür zwei bis drei Sekunden; inzwischen sind wir bei durchschnittlichen Ladezeiten von rund einer Sekunde.

Das geht aber immer noch besser: Die Geschwindigkeit, mit der der Prozessor auf Nutzerbefehle reagiert, bleibt zu beobachten obwohl die Sprünge von Jahr zu Jahr größer werden. Das kommt halt davon, wenn man seine eigenen Chips entwickelt.

Die Integration von Bluetooth 5 merke ich in erster Linie an der größeren Reichweite (obwohl auch der Datentransfer doppelt so schnell sein sollte). Wenn ich Zuhause das iPhone auf dem Schreibtisch liegen lasse, kann ich mich bis raus in den Garten bewegen ohne das durchgestrichene Telefonsymbol zu sehen. Vorher knickte die Verbindung an der Terrassentür ein und die Apple Watch wechselte aufs WiFi.

Fazit

Es ist weiterhin das Gesamtpaket, mit dem Apple Watch Series 4 überzeugt: Kein anderer Computerhersteller bietet derzeit ein annähernd vergleichbares – so persönliches – Schmuckstück. Fitness-Tracker sind im direkten Vergleich nicht nur unpersönlich, sie sind auch auf dem Weg nach draußen.

Apple ist mit Blick auf ihren Umsatz inzwischen der weltweit größte Uhrenhersteller. Das war zwar schon vor vier Jahren nicht unvorstellbar, aber wenn es dann tatsächlich passiert, stoppt man trotzdem kurz.

Apple Watch fühlt sich nach vier Jahren angekommen an. Wenn ich im Zug oder in der Stadt jemanden mit einer Apple Watch am Handgelenk sehe, ist es nicht mehr nur ein Mann in seinen Zwanzigern. Die Vielfalt der Apple-Watch-Kundschaft ist einer der positivsten Trends, den die Uhr derzeit durchlebt. Apple Watch war nie die nerdige Computeruhr, aber die bunte Mischung ihrer Käuferschaft beeinflusst direkt die Entwicklung von Hardware und Software.

Die Apple Watch wird sich in den nächsten Jahren peu à peu von ihren iPhone-Abhängigkeiten lösen. Davon sind wir zwar noch einige Hardware- und Software-Generationen entfernt, aber die Abkopplung erscheint mir mit dem Release der Series 4 erstmals in greifbarer Nähe.

Für ernsthaft signifikant erachte ich Apples Fokus auf Gesundheit – die Uhr ist nicht nur eine Maschine für ‚Workouts‘, sondern sie erfindet sich als medizinisches Instrument neu. Es gibt derzeit einfach keinen anderen Computer, zu dem wir tagtäglich Hautkontakt halten. Das Smartphone wird diese spezifische Rolle nie einnehmen (können), und ich bin davon überzeugt, das diese Position in Zukunft unbedingt besetzt werden muss.