Das iPad Pro 12,9”

Der folgende Artikel ist über 22.000 Zeichen lang. Um ihn ein bisschen zugänglicher zu gestalten, habe ich ihn eingesprochen. Für Abonnenten von #one findet sich diese Audiodatei zusätzlich im persönlichen RSS-Feed.

Nach 8 Jahren iPad fällt auf, wie bemerkenswert wandelungsfähig sich der PC in all dieser Zeit zeigte. Nachdem Steve Jobs im Jahr 2010 das iPad zwischen das iPhone und den Mac einsortierte, winden sich Laptops in alle (ihnen physisch nur mögliche) Positionen: Netbooks, „Convertibles” und ‚2-in-1‘-Geräte mit Touchscreen suchen seitdem nach einer eigenen Form; sie suchen nach einem Tablet-Gegenangebot.

Die Kernfunktionen der Tablet-Idee, die das iPad quasi im Alleingang etablierte, replizieren bis heute aber weder Windows noch macOS. Lesen, Zeichnen und Surfen – wer diese Aufgaben besser macht, steht nicht zur Diskussion. Vielmehr dreht sich die Diskussion (wie in jedem Jahr!) um einige ausgewählte Tätigkeiten, die sich nicht (so einfach) aufs iPad übertragen lassen. Vor einiger Zeit war es noch die Abgabe der Steuererklärung, die ein Desktop-Betriebssystem benötigte. Lange Zeit fehlte uns Microsofts Office Suite, die von vielen Unternehmen schlicht vorausgesetzt wird. Für mich persönlich ist es immer noch Final Cut, das ich schmerzlich einmal pro Woche vermissen würde, hätte ich nicht noch mein MacBook.

Am Ende des Tages lautet die Frage jedoch nicht, ob ein iPad ein MacBook ersetzt, sondern wie man primär arbeiten möchte. Vielleicht bringt mich das iPad im Moment nicht komplett an mein Arbeitsziel, ist bei der Mehrzahl meiner Tätigkeiten aber schlicht effektiver, attraktiver und bereitet mir einfach mehr Spaß?!

Alleine muss ich mich bei diesen Gedanken nicht fühlen: Für jeden verkauften Mac gehen seit Jahren gleichzeitig zwei bis drei iPads über den Tresen. Für jeden zweiten iPad-Käufer ist es das allererste iPad. Die installierte Basis von aktiv genutzten iPads beträgt 240 Millionen Geräte – die insgesamt 100 Millionen Macs gegenüberstehen. Wer sich den aktuellen Durchschnittsverkaufspreis für iPads anschaut, der im letzten Quartalsviertel bei 800 US-Dollar lag, der weiß, iPads sind keine glorifizierten Netflix-Maschinen.

Beim Lesen der diesjährigen iPad-Reviews – die oft die Frage „Can it replace your laptop?“ stellten1, sah ich Journalisten, die sich wünschten komplett vom iPad aus arbeiten zu können. Hinter ihrer Kritik an iOS und der Software scheint sich eine Leidenschaft zu verbergen, die ich in dieser Art und Weise nie in einem MacBook-Test lese. Das iPad bleibt der Computer, den man möchte, auch wenn man der Meinung ist, ihn nicht haben zu können.

Mit diesen Gedanken im Hinterkopf, sowie iOS 13, das uns im nächsten Jahr unter dem Codenamen ‚Yukon‘ ins Haus steht und einige der offensichtlichen Unzulänglichkeiten adressiert, kann man fundiert in die Kritik einsteigen.

A12X

Die Prozessorpower, die aus einem Computergehäuse unter einer 5,9 Millimeter dünnen und vollflächigen Glasplatte herausströmt, lässt sich schon lange nicht mehr in die typische Tablet-Schublade stecken. Mittlerweile ist jedoch ein Punkt erreicht, an dem das iPad nicht nur zu einigen ausgewählten Laptop-Modellen aufschließt, sondern der Mehrheit aller tragbaren Computer, die dort draußen herumrennen, einfach wegläuft. Das iPad Pro steckt dabei auch alle MacBooks und MacBook Pros in die Tasche – lediglich die neuen 15“ MacBook Pro, mit Intels Core i9, die den dreifachen Preis kosten, sind noch nicht überholt.

Der iPad-Prozessor besteht aus acht Kernen – vier davon sind für Performance zuständig, die anderen vier konzentrieren sich auf Effizienz. Alle acht Kerne können bei Bedarf zusammenarbeiten. Der A12X ist 35-Prozent schneller als der A10X aus dem iPad Pro im letzten Jahr.

Diese A-Chips wandern alsbald auch in Macs: Es ist keine Frage mehr des Ob, sondern des Wann. Fest steht: Für macOS ist ein solcher Umstieg langfristig der richtige Weg. Sich darüber zu beschweren, dass das auf kurze Sicht einiges an Arbeit und Mühe erfordert, ist ebenso richtig. Diese zwei Statements schließen sich gegenseitig nicht aus.

Auch die Grafikleistung macht in diesem Jahr große Sprünge. Eine Verdoppelung der Performance gegenüber dem Vorjahresmodell ist insbesondere beeindruckend wenn man diese Werte mit Geräten aus der gleichen Tablet-Produktklasse vergleicht. In einer Gegenüberstellung mit Laptops (und Desktops) erreicht das iPad aber noch lange nicht das Level der dort eingesetzten GPUs.

Apples Marketing hat sich in diesem Jahr einen Vergleich mit der Xbox One S überlegt. Diese Gegenüberstellung halte ich aus vielen Gründen für gewagt. Ganz oben auf meiner Liste steht der simple Umstand, dass iOS nicht die gleichen Spiele hat, wie die dedizierte Konsole von Microsoft. Durch nichts wurde dies deutlicher als die Demonstration von einem „mobilen“ Assassin‘s Creed, während nur vier Wochen zuvor Assassin‘s Creed Odyssey auf der Xbox glänzte.

Und dann ist da noch die ‚Neural Engine‘, die wir schon aus den neuen iPhones kennen. Dessen Performance ist entscheidend wenn sich Drittentwickler hier einklinken und mit speziell zugeschnittenen Aufgaben befeuern. Dadurch werden unter anderem Berechnungen lokal auf dem Gerät möglich, für die andere Programme und Betriebssysteme alle zu analysierenden Daten zuerst ins Netz laden müssen (um sie dort auf Serverfarmen ausrechnen zu lassen).

Unterm Strich rennt die Hardware der Software davon. Apples Aufgabe ist es aber nicht nur mit dem eigenen Betriebssystem aufzuholen, sondern die Verantwortung für leistungsfähige Software nicht auf App-Store-Entwickler abzuwälzen. Apple muss sich weiter Gedanken um richtige Vertriebsmodelle machen, die langfristig Einnahmequellen schaffen. App-Store-Entwickler müssen von der Entwicklung ihrer Apps leben (können). Wenn Final Cut Pro seit dem Jahr 2011 insgesamt 28 kostenlose Updates erhielt, obwohl ich für Version 10.0 vor sieben Jahren einmalig 240 Euro gezahlt habe, ist das nicht nachhaltig.

Abo-Modelle für Software halte ich für einen guten Anfang.

USB-C

Ich mag den Stecker. USB-C ist nicht so elegant wie Lightning, hat aber auch nichts mehr mit den grauenhaften Micro-USB-Kabeln zu tun. Ich mag den KLICK! und den festen Sitz, der den Stecker begleitet.

Der Wechsel auf USB-C am iPad ist für mich das deutlichste Zeichen von Apple für eine gemeinsame Peripherie-Zukunft für iOS und macOS. Die Unterstützung von Festplatten, Monitoren und beliebigen Eingabegeräten sind nun nur noch eine Frage der Software. Das ist erfrischend pragmatisch, auch wenn genau diese Software-Unterstützung in großen Teilen auf dem iPad derzeit noch fehlt.

Die Voraussetzungen sind jedoch geschaffen: Nicht nur für einen typischen Computerarbeitsplatz, sondern tatsächlich für Werkzeuge und Maschinen in industrieller Produktion oder (Spezial‑)Geräten in der Medizin oder Bildung. Das iPad schließt sich damit dem Standard an; ohne proprietäre Einschränkungen. Denkt man genauer drüber nach, war der Schritt unvermeidbar, fühlt sich für Apple aber trotzdem komplett ‚out of character‘ an.

Der Umstieg bedeutet aber auch die Schlichtheit von Lightning aufzugeben. Dort bestimmt der Stecker das Kabel; es war nicht möglich ein falsches oder inkompatibles Lightning-Kabel zu kaufen. Bei USB-C sagt der Stecker dagegen nicht unbedingt etwas über das Kabel aus: Unterschiedliche USB-C-Kabel führen zu unterschiedlichen Übertragungsgeschwindigkeiten beim Kopieren von Dateien (Stichwort: SuperSpeed+) oder bestimmen die Geschwindigkeit mit denen ein Gerät aufgeladen wird. Es gibt langsame USB-C auf USB-C-Kabel und es gibt schnelle USB-C auf USB-C-Kabel. Genauso gibt es langsame und schnelle USB-A auf USB-C-Kabel. Dem neuen iPad Pro liegt bezüglich Datenübertragungen übrigens nur ein langsames USB-C auf USB-C-Kabel bei.

Hinzu kommt: Thunderbolt-3-Kabel haben den identischen Stecker, funktionieren am iPad Pro aber nicht mit dem derzeit auf Apple.com angebotenen LG UltraFine 5K-Display, weil das iPad nur einen Monitor mit DisplayPort-Protokoll unterstützt. Das gleiche LG-UltraFine-Display – nur eine Größe kleiner, die 4K-Version – kann dagegen ans iPad Pro angeschlossen werden.

Genauso verwirrend ist es bei Fernsehern: Ein USB-C auf HDMI-Kabel kann ein 4K-Bild auswerfen, muss es aber nicht. Wer ein 4K-Bild bei 60 Herz mit HDR möchte, kann dafür im Moment nur ein einziges Belkin-Zubehör kaufen.

Aus allen diesen Gründen halte ich es deshalb für sehr realistisch, dass das iPhone nie auf USB-C wechselt, sondern als nächsten Schritt (in einigen Jahren) den Anschluss einfach komplett einstampft – ‚Apple-Watch-Style‘.

Apropos iPhone: Das iPhone lässt sich mit einem USB-C auf Lightning Kabel (Apple / Amazon) direkt am Tablet aufladen. Das ist exakt so schnell beziehungsweise langsam wie das kabellose Aufladen mit einem Qi-Charger – für den ‚Fall der Fälle‘ ist es aber nett. Auch die Apple Watch lädt mit dem entsprechenden Kabel (Apple) am iPad.

Dem iPad selbst liegt ein kompaktes 18W-Aufladegerät bei. Die Größe ist hübsch, aber die Kapazität nicht ausreichend schnell wenn man den ganzen Tag vom iPad aus arbeitet. Dieses Netzteil wäre ideal fürs iPhone; dem iPad Pro stände Apples 30W-Netzteil (Apple / Amazon) besser zu Gesicht.

Apple Pencil

Die zweite Hardware-Generation von Apples Pencil profitiert entscheidend vom neuen iPad-Gehäusedesign. An den Geräten zuvor gab es keinen Platz den Eingabestift aufzuladen. Jetzt lädt er nicht nur automatisch, sondern findet dort auch einen Aufbewahrungsort. Die Magnete sind stark genug den Pencil an der iPad-Außenseite von Konferenzraum zu Konferenzraum zu tragen.

Ich nutze ihn nicht nur täglich als ‚Fidget Toy‘ – als eine Beschäftigungstherapie für meine Finger – sondern auch um damit durch iOS zu navigieren. Insbesondere wenn das iPad im Keyboard Smart Folio vor mir auf dem Schreibtisch steht, schätze ich ihn sehr als verlängerten Finger.

Durch die fehlende Kappe, die beim ersten Stift ein cleverer Hack war, fühlt er sich nun mehr ‚aus einem Guss‘ an. Die angeschrägte Kante und das matte Material geben ihm einen super-soliden Charakter.

Bereits Apples erster Pencil schob Drittanbieter-Stifte durch seine privilegierte Software-Integration auf die Ersatzbank; mit Blick auf die zweite Revision ist es tatsächlich ausgeschlossen irgendeinen anderen Eingabestift zu kaufen. Apple weiß natürlich um ihre Position2 und hat den Pencil um 30-Prozent im Preis angehoben. Ich würde jedem iPad-Käufer diesen Stift empfehlen, finde ihn aber trotzdem zu teuer.

Dass der Pencil nicht jedem iPad-Kauf beiliegt, kann ich verstehen: Das würde die falsche Botschaft senden. Der Pencil bleibt nämlich ein optionales Zubehör. Apple würde sich jedoch keinen Zacken aus der Krone brechen, den Preis signifikant zu reduzieren. Wenn mehr iPad-Käufer die Chance hätten ihn auszuprobieren, fänden sie auch kreative Anwendungsfälle ihn zu benutzen.

Smart Keyboard Folio

Ein externes Keyboard fürs iPad ist für mich unverzichtbar; die Tastaturunterstützung in iOS bleibt aber ausbaufähig. Speziell seit iOS 9 haben wir diesbezüglich jedoch Weiterentwicklungen gesehen, die mir Hoffnung machen. Ob unsere Kids, die mit diesen Geräten aufwachsen, aber tatsächlich noch nach einer separaten Tastatur verlangen, bezweifle ich.

Das Smart Keyboard Folio ist ein ganz spezieller Kompromiss: Es nutzt den Smart Connector, der so zuverlässig funktioniert wie ein kabelgebundenes Accessoire. Das iPad ist im Keyboard-Case automatisch gekoppelt und beim Entfernen aus der Hülle automatisch wieder entkoppelt – dieses Level an Zuverlässigkeit findet man in keiner Bluetooth-Tastatur. Obendrein muss man das Smart Keyboard Folio nicht separat aufladen.

Ich habe nie wirklich schlechte Erfahrungen mit Funkverbindungen gemacht, aber der Komfort das iPad im Keyboard-Case einfach aufzustellen, führt zu einer anderen Art der Benutzung. Mit dem Keyboard Smart Folio klappe ich das iPad selbst in kurzen Situation auf, beantworte schnell drei E-Mails und stecke es wieder in die Tasche. Die im iPad eingebaute Mobilfunkverbindung macht das überall möglich; die zwei Kinder, die mir zwischen den Beinen herumlaufen, machen es notwendig.

Das Smart Keyboard Folio ist deutlich schwerer als das Smart Keyboard der letzten iPads. Das Gewicht verteilt sich zwar gleichmäßig (und hilft dabei das iPad deutlich stabiler auf den Oberschenkeln zu balancieren), wiegt in der Variante für das 12,9“ iPad Pro mit über 400 Gramm aber fast genauso viel wie das 11“ iPad Pro! Bedenkt man, dass das 12,9“ iPad Pro 630 Gramm wiegt, hievt das Smart Keyboard Folio die Kombination auf über ein Kilogramm. Damit bleibt das iPad leichter als ein typischer 13“-Laptop, aber im Vergleich zu seinem tastaturlosen Eigengewicht wird es dadurch unverhältnismäßig schwer.

Die Tastatur bietet zwei Aufstellpositionen zum Tippen. Ich komme mit der steileren Neigung am Schreibtisch besser klar. Mir reichen die zwei Optionen, aber ich würde gerne sehen, wie Apple so etwas wie den flexiblen Kickstand umsetzt, den Microsoft in seine Surface-Pro-Geräte einbaut.

Hatte ich von nur zwei Aufstellpositionen gesprochen? Das ist nicht ganz korrekt. Es gibt eine inoffizielle Position, die ich ‚Movie Mode‘ schimpfe, bei der man die Tastatur nach hinten umklappt und dann auf beiden Unterkanten des iPads aufbockt. Auf glatten Schreibtischen ist das durchaus fragwürdig, aber wenn ihr auf der Couch oder im Bett liegt, ist es glorreich.

Im Gegensatz zum Smart Keyboard Folio besitzt das Smart Folio einen offiziellen ‚Movie Mode‘ – so wie es die Smart Keyboards der letzten Jahre hatten. Diese Aufstellposition funktioniert besser auf stabilem Untergrund, aber deutlich wackeliger in den gemütlichen Netflix-Situationen auf dem Sofa.

Zu guter Letzt muss ich aus eigenem Geschmack anmerken, dass der graue Mantel des Smart (Keyboard) Folio wirklich uninspiriert ausfällt. Für ein Zubehör, das kreativschaffende Menschen ansprechen soll, fehlen mir Farben, Muster und vielleicht sogar verschiedene (Stoff‑)Bezüge.

Screen

Das iPad Pro besitzt ein ‚Liquid Retina‘-LCD-Display. Das ist zwar nur ein hübscher Marketing-Begriff, aber er drückt aus wie viel Arbeit Apple in die abgerundeten Ecken, die Farbgenauigkeit, ProMotion und die Reduzierung der Gehäuseränder investiert hat. Die eigentliche Qualität des Bildschirms unterscheidet sich zwar nicht signifikant von den Vorgängermodellen, die schiere Bildschirmfläche rückt es jedoch in ein ganz besonderes Licht.

Mein größter Kritikpunkt am weitgehend spiegelfreien Bildschirm, der nicht nur Fingern, Fingernägeln und der Pencil-Spitze standhält, ist die fettabweisende Beschichtung. Dieser Touchscreen zieht Fingerabdrücke wie ein Magnet an. Kein Witz: Nach einem halben Arbeitstag greife ich das erste Mal zum Wischtuch.

Auf dem neuen 12,9“ iPad Pro laufen im Splitscreen zwei Apps in der Größe von zwei ‚iPad mini‘-Bildschirmen nebeneinander. Das bietet ungeheuer viel Platz in den Dimensionen von einem mobilen Gerät, dass man nur 30 bis 60 Zentimeter vor der Nase hat.

Ich habe persönlich vor einigen Jahren festgestellt, dass ich deutlich unproduktiver auf Computern mit mehreren Monitoren arbeite. Doch bitte nicht falsch verstehen: Ich brauche viele (Browser‑)Tabs und ein Fenster-Management, das ich idealerweise über Tastaturkürzel steuern kann. iOS hat hier noch eine ganze Menge aufzuholen.

Speaker

Wie ist es möglich, dass dieses Gerät dünner ist als jedes iPhone? Die Frage stellt sich mir insbesondere mit Blick auf die abermals verbesserten Lautsprecher. Bei diesen schlanken Abmessungen müsste man doch langsam an physikalische Grenzen stoßen, oder?

Fünf Mikrofone ermöglichen es im neuen iPad Pro das FaceTime-Gespräche jetzt über alle vier Lautsprecher ausgegeben werden – den iPads zuvor fehlte dafür die entsprechende Geräuschunterdrückung.

Beide iPad-Pro-Modelle besitzen jeweils vier Lautsprecher-Pärchen (!), verteilt auf vier Bildschirmecken. Je nach Orientierung passt das iPad die Soundausgabe dynamisch an. Das bedeutet: Bei einer klassischen Filmwiedergabe pumpen euch alle vier Lautsprecher die tiefen Töne entgegen, aber nur die zwei oberen Lautsprecher arbeiten als Mittel- und Hochtöner. Dreht ihr das iPad um, wechselt die Soundausgabe automatisch. Durch die überarbeitete Konstruktion der Lautsprecher-Pärchen könnt ihr nun besser als zuvor Töne von links beziehungsweise rechts unterscheiden.

Kurzum: Die Qualität der integrierten Lautsprecher ist adäquat genug um damit einen Filmabend zu bestreiten.

Leider wird es aber auch den Lautsprechern geschuldet sein, dass das iPad weiterhin nicht wassergeschützt beziehungsweise wasserdicht ist. Bei den iPhones gibt mir dieses Feature ein Gefühl der Sicherheit, dass ich auch gerne beim iPad hätte (wenn ich neben meinen Kids am Küchentisch tippe und sie dort mit Wasserfarben plantschen).

Kamera + Face ID

Hatte ich nicht vor wenigen Minuten über physikalische Grenzen gesprochen? Die rückseitige Kamera im iPad Pro hat ihr ganz eigenes Design, weil das Tablet-Gehäuse zu dünn ist um dort das Objektiv des iPhone XS (Max) unterzubringen. Apple übernahm deshalb aber nicht ein altes Kameramodul oder einen kleineren Sensor, sondern zimmerte eine Eigenanfertigung, die qualitativ irgendwo in der Mitte steckt. SmartHDR ist als Funktion drin; ein Porträtmodus dagegen nur in der vorderseitigen Kamera.

Ohnehin ist es das ‚Face ID‘-Modul, dass die meiste Beachtung erhält. Die Erkennung funktioniert nicht nur aus allen Orientierungen, sondern der Erkennungsradius ist viel größer. In der Praxis bleibt ihr einfach vor eurem Gerät sitzen, wenn ihr beispielsweise 1Password öffnet, und werdet direkt eingeloggt.

Da man das iPhone viel flexibler in der Hand hält, braucht es einen kurzen Moment der Konzentration für einen Face-ID-Unlock. Das iPad sieht euch dagegen fast immer, was die Passworteingabe über euer Gesicht noch bequemer gestaltet.

Preis

Alle Anschaffungen sind Kompromisse. Geld, Größe und Zeit(-räume) sind Faktoren, die wie Geschmack, Optik und persönliche Vorlieben unweigerlich bei Geldausgaben eine Rolle spielen.

Ein neues iPad Pro ist eine teure Anschaffung. „1000 Euro für ein Tablet” war deshalb eine der Reaktionen, die bei der Bekanntgabe von Preis und Verfügbarkeit auf dem New-York-Event, nicht überraschte.

Die eigene Wertschätzung zurückzustellen, und nachzuvollziehen warum jemand diesen Preis für seinen nächsten Computer ausgibt, bleibt ganz generell eine Schwierigkeit.

Im Gegensatz aber zum Mac, deckt das iPad inzwischen den größeren (Preis‑)Spielraum ab. Ab 349 Euro geht es los; mit dem 10,5” Gerät aus dem Vorjahr steigt man bei 729 Euro ein und das aktuelle Pro beginnt bei 879 Euro – so günstig gibt es keinen Mac.

Resümee

Produktivität ist nicht davon bestimmt wie viele Dinge man gleichzeitig auf dem Bildschirm hat. Schlussendlich müssen wir uns fragen, wie wir arbeiten wollen. Es ist fast ein bisschen schwer in Worte zu fassen, wie gerne ich dieses „magic piece of glass“ – mit seiner Steampunk-ähnlichen Rückseite – mit mir herumtrage. Es ist der Computer, der mir verspricht alles zu sein; alles irgendwann und überall zu können.

Noch fehlt mir ein Schwung an Software, der das Potenzial der Hardware richtig ausreizt. Dieses iPad ist leistungstechnisch aber bereits heute auf Augenhöhe mit Apples schnellsten MacBook Pros. Es ist also tatsächlich ein Frage der Software.

Mir persönlich fehlen mehr Apps auf macOS als auf iOS – beziehungsweise bevorzuge ich für vergleichbare Aufgaben oft die iOS-App. Anwendungen aus dem App Store kommen ohne Altlasten; sie demonstrieren oft einen besseren Fokus auf die Dinge, die sie leisten sollen. Obendrein gibt es so viel mehr Softwareauswahl.

Ausnahmen wie Final Cut bestätigen für mich die Regel. Und auch Safari ist eine dieser prominenten Ausnahmen, weil so viel Webseiten mir auf dem iPad noch als „mobile” Version angezeigt werden – als Baby-Internet. Apple wird nicht auf absehbare Zeit das Web ändern, weshalb sie dem iPad einen Webbrowser geben müssen, der mich vergleichbar wie auf dem Desktop arbeiten lässt – alleine für alle Google-Docs-Nutzer würde sich eine solche Anpassungen lohnen.

Und natürlich muss sich das iPad vom klassischen iPhone-OS abkoppeln und seinen eigenen Weg finden. Gefühlt schreibe ich diese Zeilen in jedem Jahr. Zwischen iOS 4 und iOS 9 waren wir nahezu mit einem Entwicklungsstillstand fürs iPad-OS konfrontiert. Diese Jahre tun heute immer noch weh: Apples Tablet ist auf dem Blatt bereits acht Jahre alt, obwohl es diese Entwicklungszeit nie bekam.

Und dabei geht es nicht darum alte Arbeitsabläufe aufs Tablet zu übertragen, sondern für das neue Gerät die passenden Paradigmen zu finden3. Apple sollte den Mut aufbringen, gewagtere Änderungen auszuprobieren. iOS auf dem iPad fühlt sich nicht nur träge entwickelt an (insbesondere im derzeit zweijährigen Rhythmus), sondern auch konservativ und zurückhaltend. Fast so, als ob man nichts kaputtmachen möchte.

Und trotzdem ist das iPad der Computer, der die typischen Computermerkmale streicht, die mir in den letzten Jahren nie mehr wichtig waren. Mich entscheiden zu müssen ob ich ein MacBook mit i5- oder i7-Prozessor kaufe, wie viel RAM ich benötige und ob ich ihn später selbst austauschen kann, übt für mich wirklich keinen Reiz mehr aus.

Ich bin mit dem Mac großgeworden. Er hat einen ganz speziellen Platz in meinem Herzen. Apple nimmt niemandem seinen Mac weg. Inzwischen ist es jedoch das iPad, dass sich für mich näher an der Zukunft für Computer anfühlt – Smartphones einmal ausgeklammert. Der Mac hat sich für mich zu einem stationären Computer entwickelt; das iPad ist meine Maschine für überall.


  1. Übrigens. Wer fragt: „Kann das iPad meinen Laptop ersetzen?”, hat bereits einen Laptop. Die Frage impliziert, dass dieses Gerät befriedigend arbeitet. Die richtige Frage sollte deshalb lauten: „Welchen Computer kaufe ich mir als nächstes?” 
  2. Ein alter Pencil lässt sich nur auf alten iPads benutzen, und ein neuer Pencil funktioniert nur am neuen iPad. 
  3. Wir erinnern uns: Als die ersten graphischen Benutzeroberflächen erschienen, fühlten sich „Professionells“ davon ausgebremst.