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Apple Watch Series 6 und Apple Watch SE

Der folgende Artikel ist knapp 9.000 Zeichen lang. Um ihn zugänglicher zu gestalten, habe ich ihn eingesprochen. Für Abonnenten von #one habe ich die Audiodatei zusätzlich in den persönlichen RSS-Feed eingestellt.

Series 6 ist Apples erste Watch ohne Headliner-Feature; es gibt hier nicht die eine Funktion, die prominent im Vordergrund steht. Vielmehr ist es Apples rundherum vollständigste Uhr. Apple Watch bleibt so auch im sechsten Jahr weiterhin konkurrenzlos.

Die einzigen ernstzunehmenden Mitbewerber verkauft Apple selbst: Es sind die älteren Watch-Modelle und in diesem Jahr erstmals eine zweite Variante – die Apple Watch SE.

Um die Series 6 richtig einzuordnen, muss man die Apple Watch SE verstehen. Der Doppelschlag ist nämlich Apples diesjährige (Verkaufs‑)Strategie.

Das SE vermisst die EKG-Funktion, den Blutsauerstoff-Sensor und kommt ausschließlich in einem Gehäuse aus (100 % recyceltem) Aluminium. Die Einschränkung, auf die die meisten Leute schauen, dürfte jedoch das „Always-on“-Display sein. Deshalb gilt: Wer zu einem guten Gebrauchtpreis eine Apple Watch Series 5 findet, greift hier zu.

Die Finger sollte man dagegen von einer neuen Series 3 lassen. Preis und Leistung sind heute nicht mehr auf Augenhöhe einer Series 4, 5 und natürlich 6.

Aber zurück zur Series 6.

Mich enttäuscht, dass die Blutsauerstoffmessung explizit nicht für medizinische Zwecke konzipiert ist. Der neue Sensor, der auch im Hintergrund die Messung vom Sauerstoffgehalt im Blut vornimmt, produziert Fitness-Werte für Hobbysportler_innen. Er ist kein Medizingerät.

Im Gegensatz zum Ein-Kanal-Elektrokardiogramm kreuzt Apple hier nicht vollumfänglich1 die Checkliste der verantwortlichen Zulassungsbehörden ab. Der SpO2-Sensor in der Series 6 bleibt deshalb nur ein „Wellness“-Produkt – anders als ein klassischer Pulsoximeter, der den Blutsauerstoff an der Fingerspitze2 erfasst und gewöhnlich zertifiziert ist.

Das Potenzial, mit dem die LEDs der Watch in eure Blutgefäße leuchten und dabei analysieren wie viel Licht zurückgeworfen wird, ist zweifelsohne spannend. Insbesondere wenn man berücksichtigt wie viele Millionen Datenpunkte dabei akkumuliert werden. Universitäten können Studien viel größer aufziehen, weil man sich nicht manuell ein Gerät an den Finger klemmt, sondern die Aufzeichnung dauerhaft am Armgelenk (im Hintergrund) stattfindet.

Eine präzise und verlässliche Überprüfung des Blutsauerstoffgehalts kann als Früherkennung für Atemwegserkrankungen dienen. Vielleicht empfinde ich es auch deshalb als so unbefriedigend, dass die Apple Watch lediglich einen simplen Prozentwert ausspuckt. Ohne Hinweise diesen Wert richtig einzuordnen, wiegt er den Träger und die Trägerin der Uhr potenziell in falscher Sicherheit. Obendrein variieren meine Messungen. Dabei scheint es sehr ausschlaggebend wie straf die Uhr am Arm sitzt.

Unterm Strich ist es aber nicht die Genauigkeit, sondern die fehlende Einordnung des Prozentwertes, den ich mir wünsche.

Ein bereits bekannter Sensor ist der Höhenmesser. In der Series 6 läuft er nun erstmals durchgehend. In Apples Uhren zuvor sprang er lediglich bei bestimmten Workouts an. Wanderer und Bergsteiger entdecken ihn in der Kompass-App oder legen sich ihn aufs Zifferblatt (beispielsweise aufs „X-Large”-Zifferblatt).

Die durchgehende Messung ist unter anderem der Effizienz des S6-Chips zu verdanken. Der Prozessor, der laut Apple 20-Prozent schneller als der S5 tickt, ist tatsächlich unterschätzt. Series 6 ist eine ganze Spur schneller. Das beginnt beim Start von Apps, über den Doppel-Tap auf die Krone um zwischen zwei Apps zu wechseln, bis zum Nachladen von App-Daten. Ich spüre den Geschwindigkeitsgewinn selbst gegenüber der Series 5 deutlich. Wer von der Series 4 oder einem noch älteren Modell kommt, wird garantiert freudig überrascht!

Series 6 lädt seinen Akku schneller als alle Apple-Uhren zuvor. Auch das ist ein Feature vom Chip und nicht dem verwendeten Netzteil. Ein Netzadapter mit passendem USB-A-Anschluss liegt bekanntlich nicht mehr bei; ihr habt aber sicherlich noch einen.

In 90 Minuten tankt man von 0 auf 100. Entscheidender ist jedoch die Akkuladung von 0 auf 80-Prozent, die lediglich 60 Minuten braucht. Bei mir hat das Update auf watchOS 7.02 noch einmal deutlich die Gesamtlaufzeit verlängert. Auch mit Workouts kommt man locker durch 24 Stunden – meistens sogar über 36 Stunden. Wenn man die Uhr dann strategisch nach dem Aufstehen oder bei der Abenddusche aufs Ladegerät hängt, geht trotz Sleep-Tracking wirklich nie die Batterie aus.

Verwirrung gab es zur Ankündigung über das Display-Glas. Der eigentliche Bildschirm ist in allen Modellen identisch, aber auf dem preiswerteren Aluminium-Modell weiterhin nicht aus dem kratzfesteren Saphirglas, sondern Ion-X Glas. Apple vergaß diese Angabe in seiner Produktbeschreibung, trug sie mittlerweile aber nach. Deshalb gilt auch weiterhin: Die Modelle aus Titan und Stahl bekommen Saphirglas; Aluminium-Modelle sind mit Ion-X Glas ausgestattet.

Bei der Series 4 und 5 trug ich die Aluminium-Modelle; in diesem Jahr bin ich (zurück) bei Edelstahl.

Series 6 ist im Standby-Screen deutlich heller als seine Vorgänger. So richtig fällt das aber erst auf, wenn man zurück zur Series 5 wechselt. Diese zusätzliche Lichtstärke dürfte für viele Personen jedoch ein Accessibility-Feature sein. Wer eine Sehbeeinträchtigung oder ganz spezifisch eine Sehschwäche hat, profitiert nicht nur mehr: Für einige Personen ist das „Always-on”-Display erst jetzt wirklich dauerhaft eingeschaltet.

Von der Hardware, kurz zur Software: watchOS 7 ist abwärtskompatibel bis zur Series 3. Es ist die älteste Uhr, die noch auf dem neusten Betriebssystem läuft. Allerdings sind Features wie die Familienfreigabe erst mit der Apple Watch SE möglich. Auch die internationale Notruffunktion sowie die Sturzerkennung und Lärm­überwachung sind nicht auf der Series 3 („Apple Watch SE vs. Apple Watch Series 3“).

Der schnellere Prozessor gewinnt speziell mit watchOS 7 an Bedeutung, weil Siri ein Sprachdiktat nun direkt auf der Uhr transkribiert. Das beschleunigt alle Spracheingaben, die primäre Eingabemethode, ungemein.

Sleep-Tracking profitiert im Gegensatz dazu nicht von dem neuen Chip. Das bedeutet einerseits: Auch ältere Watch-Modelle schicken euch ins Bett. Anderseits bleiben die Werte sehr oberflächlich. Ich stehe Sleep-Tracking-Apps sehr skeptisch gegenüber, die eine detaillierte Schlafanalyse versprechen. Diese Werte liefert die Hardware einfach nicht. Deshalb vermarktet Apple auch keine Schlafanalyse, sondern verpackt das Feature als Bettroutine und Nachtruhe. Um meine Schlafenszeit automatisch aufzuzeichnen bleibe ich vorerst also bei Napbot.

Beide neuen Uhren verzichten auf „Force Touch” – das druckempfindliche Display. Apple deaktivierte sogar für ältere Modelle den Drucksensor. Das führt zu einigen Interaktionen, die sich mit watchOS 7 ändern. In vielen Fällen ersetzt nun ein längerer Druck auf den Bildschirm die vorherige Funktion. Ausnahmen bestätigen die Regel: In der Mitteilungszentrale findet sich jetzt ein „Clear all”-Button; der Wechsel zwischen Listen- und Bienenwaben-Ansicht ist nun eine Option in den Einstellungen.

Grundsätzlich stimme ich der Vereinheitlichung zu, die ja zuvor bereits auf iOS und iPadOS erfolgte.

Speziell in diesem Jahr möchte ich abschließend noch einmal Apple Pay auf der Watch erwähnen. Wer sich über Face ID und seine Maske an der Supermarktkasse ärgert, hat anscheinend noch keine Watch. Sie ist die bequemste kontaktlose Zahlungsmethode.

Series 6 ist die Definition von einem inkrementellen Update für eine weiterhin marktdefinierende Smartwatch.

Apple Watch mutiert in seinem sechsten Jahr zu einem Bündel aus Sensoren, die den persönlichen Nutzen definieren. Wer die Watch als Gerät für seine Gesundheit sieht, schaut ausschließlich zur Series 6. Obendrein macht das „Always-on“-Display den größten Unterschied. Wer die Series 5 im letzten Jahr ausgesetzt hat, braucht in diesem Jahr nicht lange nach einem Kaufgrund zu suchen.

Apple Watch SE bietet gegenüber der Series 3 zahlreiche Vorteile – sowohl in punkto Hardware (Digital Krone mit Haptic Feedback!) als auch der Software. Ohne den primären Fokus auf Gesundheit, sondern beispielsweise Fitness und Kommunikation, wird die SE vielen Ansprüchen gerecht.

Mein einzige (aber deutliche) Nicht-Empfehlung bekommt der Neukauf einer Series 3. Sie ist der Platzhalter bis Apple im nächstes Jahr die SE für 200 Euro anbietet.


  1. Die FDA erteilte für die EKG-Funktion eine „Clearance” (Freigabe), kein „Approval” (Zulassung). 
  2. Ihr könnt euch die Series 6 auch an die Fingerspitze halten und dort manuell eine Messung vom Blutsauerstoff vornehmen. Praktisch ist das natürlich nicht, allem voran weil der große Vorteil einer konstanten Messung im Hintergrund verloren geht.