Das iPhone 15 Pro Max
Der folgende Artikel ist über 14.000 Zeichen lang. Um ihn zugänglicher zu gestalten, habe ich ihn eingesprochen. Für Abonnenten von #one habe ich die Audiodatei zusätzlich in den persönlichen RSS-Feed eingestellt.
Nicht Fotos vom iPhone, sondern Fotos des iPhones, stelle ich diesmal in den Mittelpunkt – erstmals für meinen längeren – jährlichen – Hardware-Artikel.
Die Ausrede „Smartphone-Fotografie“ greift zwar schon lange nicht mehr, aber besonders gilt das fürs iPhone 15 (Pro Max). Diese Telefon-Generation versorgt Hobby-Fotograf:innen mit Pro-Features. In den Jahren zuvor kitzelten engagierte (Berufs-)Fotograf:innen und Enthusiasten diese Qualitäten aus der Kamera; diesmal reicht’s zu wissen, wo der Auslöser ist. Damit demokratisiert dieses iPhone abermals Fotografie.
Frei Haus gibt’s eine 24-Megapixel-Auflösung, die automatische Erfassung von Tiefenschärfe für Porträts sowie eine Handvoll unterschiedlicher Brennweiten. Weniger die tatsächliche Hardware, sondern die „software pipeline“ zeichnet diese Generation aus. Apple hat sie fest im Griff.
Um das alles auszuprobieren, und es für euch hier doppelt-informativ zu verpacken, verknüpfe ich’s mit einer (Tages-)Tour durch Helsinki. Der nette Nebeneffekt (für mich): Wenn ihr hier mal vorbei kommt und nach Empfehlungen fragt, verweise ich auf genau diesen Artikel.
Jede Reise beginnt am Hauptbahnhof; niemand kann sich die Parkgebühren fürs Auto in der Innenstadt leisten. Tickets kauft ihr auf HSL.fi. Sie gelten für Bus, Zug, Tram und Wassertaxi – etwa nach Suomenlinna. Wenn ihr gut zu Fuß seid, lässt sich die komplette Stadt locker erlaufen.
Das Ultraweit, das hier das Parlamentsgebäude einfängt, springt dieses Jahr am kürzesten. Es profitiert natürlich von der neuen Photonic Engine sowie Smart HDR, knipst ansonsten aber Fotos, die der Kamera des iPhone 14 entsprechen.
Es bleibt ein spaßiges Objektiv – insbesondere im Makromode, in dem man nun bis auf 2 Zentimeter herantritt. Makrofotografie kam erst vor zwei Jahren; wer dieses Jahr ein iPhone kauft, benutzt das Feature wahrscheinlich zum allerersten Mal.
Finnland schenkte sich zu seinem 100. Geburtstag eine Bibliothek. An Oodi geht man nicht vorbei, sondern rein. Wenngleich ihr hier keinen 3D- oder Leinwand-Druck anstoßen wollt: Dort abzuhängen, ist ein „Must-do“.
Das neue 5-fach-Tele – den längsten optischen Zoom in einem iPhone bis heute – unterschätzte ich. Ganz ernsthaft: Das Tetraprisma-Design und die 3D-Sensor-Stabilisierung erzeugten bereits einige meiner absoluten Lieblingsfotos. Man fühlt sich damit durchaus als Voyeur, aber ich kann von der Reichweite nicht genug bekommen. Sie funktioniert nicht nur für entfernte Objekte, sondern auch explizit für Porträts.
Diese Ergebnisse sind nicht professionellen Fotograf:innen vorbehalten: Eine Schulaufführung sowie ein Schulsport-Tag – bei dem ich nicht näher an meine Kids ran konnte / ran wollte – führten bereits zu tollen Schnappschüssen. Schnappschüsse, die in dieser Qualität vorher nicht möglich waren.
Für ein Frühstück geht ihr ins Green Hippo oder ganz klassisch ins Fazer Café. Wer morgens nur Kaffee trinkt, schaut in Kaffa Roastery vorbei.
Während das 5-fach-Tele-Zoom medial im Vordergrund steht, ist die 48-Megapixel-Hauptkamera der Showstar. Im iPhone 14 Pro erfreuten sich daran Profis; das 15er macht sie nun jedem zugänglich.
Die Photonic Engine konstruiert Bilder aus verschiedenen Sensoren. Das Kamerasystem zieht sich Details aus dem hochauflösenden 48-Megapixel-Frame und verschmelzt es mit den lichtstärkeren 12-Megapixeln. Das iPhone 15 hat keinen 24-Megapixel-Sensor, wirft aber die schärfsten Pixel mit einer optimierten Belichtung zusammen, um daraus höher aufgelöste Fotos zu speichern, die trotzdem den gewohnten Dynamik- und Kontrastumfang liefern.
Nicht aus jeder Aufnahme entsteht ein 24-Megapixeln-Foto (etwa für Nacht-Porträts, Panoramas oder 2x Tele-Objektiv), aber die Bilder der Hauptkamera sind schlicht phänomenal.
Alle Fotos dieses Artikels sind bewusst nicht in ProRAW geknipst, weil sich vergleichsweise wenige Personen die Zeit und Mühe mit der notwendigen Nachbearbeitung geben. Dort ist zwar immer noch mehr herauszuholen, aber man muss nicht mehr das Gefühl haben, wirklich etwas zu verpassen.
Anders als im Vorjahr: Mit dem A17-Pro-Chip knipst die Kamera tatsächlich ohne Verzögerung. Diesen „zero shutter lag“ vermisste ich für ProRAW-Fotos im letzten Jahr. Das war extrem auffällig, weil die Augenblicklichkeit des Auslösers bis dato als goldene Regel in Apples Fototeam galt. Das iPhone 15 bringt diesen guten Vorsatz zurück.
Die Option auf Knopfdruck zwischen drei Brennweiten zu wechseln – 24 mm, 28 mm und 35 mm – hat mir zwei Dinge gezeigt: 24 mm ist ein ziemlich extremer Weitwinkel, und ich liebe es Objektive über einen Button zu wechseln. Das Drehrad übt nicht annähernd den gleichen Reiz auf mich aus.
Porträtaufnahmen ohne dafür in den Porträtmodus zu switchen, hilft in erster Linie nicht mir, aber der Familie. Sie ignorieren mit einer, für mich faszinierenden Konstanz, seit Jahren diesen separaten Kameramode.
Für alle weiteren (kleinen und großen) Details zum Kamerasystem, verweise ich mit Freude auf Sebastiaan de With.
Es sei aber betont, dass für mich selbst Fotos von banalen Alltagssituationen nicht nur auf dem Smartphone-Bildschirm fantastisch aussehen – dort, wo sie hauptsächlich konsumiert werden – sondern auch als 50-Zoll-Diashow auf einem Apple TV.
Kurze Pausen gönnt ihr euch über den Dächern von Helsinki in der Ateljee Bar (Hotel Torni). Dort wollt ihr unbedingt aufs WC!
Alternativ springt ihr in den Stadtpool (Allas) oder geht in „the World’s 100 Greatest Places“ Löyly – eine Sauna. Ihr glaubt, ich scherze? Nope. Bitte Badehose mitbringen und auf dem Weg dorthin nicht den Birgitta Burger vergessen.
„Weniger, aber luxuriöser“ scheint meine allgemeine Präferenz in höherem Alter zu sein. Titanium als Gehäusematerial fühlt sich hier ganz nach meinem Geschmack an. Das industrielle Design erinnert mich an mein altes PowerBook G4. Allein deshalb kam in der Farbwahl für mich nur „Titan Natur“ in Betracht.
Ich bevorzuge den abgerundeten Rahmen, der weniger Fingerabdrücke anzieht und das spürbar geringere Gewicht. Glaubt alles, was ihr darüber bereits gehört habt. Das iPhone 15 fühlt sich substanziell leichter an. Ich vermute, dass sich das Gewicht schlicht auf andere Art verteilt und ohne „Kopf-schwere“ leichter wirkt, als es das Datenblatt vermuten lässt.
Allerdings ist Titanium rutschig. Vielleicht ist es deshalb auch gut, dass das iPhone 15 intern neu aufgebaut ist und sich in einem Schadensfall kostengünstiger reparieren lässt – so wie es das Nicht-Pro-Modell im letzten Jahr bereits vorgemacht hat.
Für mich gleichermaßen bemerkenswert: Der Bildschirm reicht nun weiter an den Gehäuserahmen. Lasst euch nicht erzählen, dass das nicht entscheidend ist. Genau wie die doppelte Bildschirmhelligkeit und die jetzt zunehmende Verbreitung der Dynamic Island.
Für Familien, die mit Kind und/oder Kinderwagen unterwegs sind: Oodi beschäftigt auch die Kleinsten. Alternativ geht ihr (kostenlos) ins Kindermuseum, um danach aus dem Café Engel auf den weißen Dom von Helsinki zu schauen.
Apples Präsentation für den A17-Pro-Chip überraschte nicht nur mit dem „Pro“-Label, sondern auch mit seinem Fokus auf Gaming (+ Raytracing, MetalFX Upscaling, etc.). Hinter dem mächtigen „Das Gaming Monster“-Werbeslogan fehlt mir jedoch ein hauseigener Controller – respektive die Übernahme der Backbone-Bude sowie die App-Store-Einladung an Cloud-Gaming-Dienste.
Nicht falsch verstehen: Der 3-nm-Chip, für den sich Apple angeblich vorerst alle Kapazitäten von TSMC sicherte, ist ein großer Wurf. Aber diese Demonstration von Grafikpower funktioniert nur mit (offiziellem) Zubehör und den besten Spielen.
An Apple: Lasst Worte auch Taten folgen.
Ich mach’s jetzt mal so, wie Apple in seiner Präsentation, und spreche zuerst über die kabellose Konnektivität.
Das Potenzial des Ultrabreitband-Chips ist größer als der bisherige Funktionsumfang. Die neue „präzise Suche“ von Freund:innen innerhalb von einem kleineren H&M-Geschäft oder Karstadt klingt spaßig. Aber selbst mit dem 3x Suchradios gegenüber dem ersten U1-Chip, ist die Reichweite noch arg beschränkt. Um sich in einem IKEA wiederzufinden, reicht es nicht.
Das iPhone 15 ist außerdem das „erste Thread kompatible Smartphone“ und Apple gibt uns hier nicht einmal ein Alibi-Feature. Die Pressemitteilung spricht lediglich von „zukünftigen Möglichkeiten für eine Home-App-Integration“ und lässt uns spekulieren.
Wi-Fi ist seit vielen iPhone-Generationen gut genug. Für mich ist das ein perfektes Beispiel für die falsche Annahme, dass die jährlichen (Fort-)Schritte bei Smartphones zunehmend kleiner ausfallen. Diesmal ist Wi-Fi 6E etwa doppelt so schnell wie vorher, und niemanden scheint das zu interessieren.
Wenn’s nämlich gut genug ist, erscheinen uns die jährlichen Fortschritte kleiner, unerheblicher.
Alle Modelle bekommen in diesem Jahr das neuste Qualcomm-Modem – ein verlängerter Deal macht das möglich. Der X70-Chip verspricht weitaus stromsparender zu funken. Seit drei Jahren – dem iPhone 12 – benötigt der 5G-Empfang eine differenzierte Akku-Einstellung. Apple würde wahrscheinlich gerne auf diese zusätzliche Option (➝ Einstellung ➝ Mobile Service ➝ Mobile Data Options) verzichten.
Apropos Akku: 50-Prozent dauern 25 Minuten; 80-Prozent sind übers Kabel in 50 Minuten wieder drin. Die letzten 20-Prozent dauern noch einmal die gleiche Zeit, die das iPhone benötigte, um auf 80-Prozent zu gelangen.
Fürs reine Aufladen bin ich in diesem Jahr erstmals ernsthaft auf MagSafe aufgesprungen – anstelle neue Kabel zu legen und damit die restliche Lightning-Familie zu verwirren.
So weit, so unspektakulär. Für den klitzekleinen Teil der Käuferschaft, die das Kabel zum Übertragen von Daten benötigt, hätte ich mir für die iPhone-Pro-Modelle ein beigelegtes USB-3-Kabel gewünscht. Wenn nämlich selbst Profis zum falschen Kabel greifen, dann zeigt das auf ein Problem.
So unauffällig das Aufladen ist, so erfreulich ist der Zugang zum großen Portfolio der USB-C-Peripherie – von SSDs über Audio bis zu einer sauberen Videoausgabe.
Apple darf hier seine eigenen Software-Limits aber gerne noch einmal überdenken. Eine Art „Samsung-DeX-Mode“ – bei dem das iPhone als Computer am Studio Display fungiert – würde ich mindestens ausprobieren.
Essenfassen! Für große und kleine Snacks versorge ich mich im Deliberi, (das deutsche) LOV, Café Bar No.9 oder (Hietalahden-)Kauppahalli. Wenn’s ein Salat tut, findet ihr mich im Teatteri.
Die Aufzeichnung von ProRes-Video auf einer externen SSD bringt nicht nur zusätzlichen Plattenplatz, sondern verstopft jetzt nicht mehr die eigene Fotobibliothek. Es war in der Vergangenheit ein ganz praktisches Problem, solche (Auftrags-)Arbeiten vom automatischen Sync in die eigenen iCloud-Daten zu unterbinden.
Apples Kamera-App ermöglicht zwar das flache LOG-Format, legt während der Aufnahme jedoch kein LUT darüber. In exakt diese Bresche springen nun Dritt-Apps. Blackmagic Camera zeigt nicht nur das eingefärbte Bild, sondern lässt euch unterschiedliche Qualitätsstufen wählen. Während Apple ausschließlich auf ProRes 444 setzt, sind hier auch Videoaufzeichnungen in ProRes 422 Proxy, QH oder LT möglich.
Im vergangenen Jahr überraschte der Kinomodus. Während im iPhone 13 damit nur HD-Aufnahmen möglich waren, konnte das iPhone 14 eure Videos bereits in 4K festhalten. Und in diesem Jahr bekommt der „Cinematic Mode“ einen digitalen Software-Zoom, der flüssig zwischen 1x, 2x und 3x wechselt.
Besser spät, als nie: ein Action-Button. Der Ein-Funktions- Schalter avanciert zu einem software-gesteuerten Button. Was vorher unumstößlich in Metall gegossen war, ist jetzt ein Knopf, der nach Lust, Laune und Zeit seine Funktion ändert.
Mit iOS 17.0 fallen die Gestaltungsmöglichkeiten noch konservativ aus. Kurzbefehle sind die Ausnahme dieser Regel. Zukünftig wünscht man sich eine doppelte oder sogar dreifache Belegung – der gegenüberliegende Standby-Button kann’s ja auch.
Außerdem wünscht man sich Dritt-App-Funktionalität, wenn eine Software geöffnet ist, die nicht nur über eine Verknüpfung mit Shortcuts läuft.
Bis das passiert, wovon ich fest ausgehe, öffnet mein Action-Button die Kamera-App – ganz langweilig, aber auch sehr effizient, um von wirklich überall aus und zu jeder Zeit fotobereit zu sein.
Die Platzierung des Buttons, an der ehemaligen Position des Umschalters zwischen Klingeln und Lautlos, ist mir bisher nicht ins Muskelgedächtnis übergegangen. Allerdings ist es mir bereits passiert, ihn mit Lautstärke+ zu verwechseln und ungewollt mein Trommelfell auszulasten.
Drinks? Für mich tuts das Holiday, Liberty or Death, das Bier-Bier oder Bob’s Laundry.
Apple gibt den neuen Geräten zwei Funktionen, um (noch) weniger über den Akku nachdenken zu müssen. Es zeigt nun die Ladezyklen an (➝ Einstellungen ➝ Allgemein ➝ Über) und lässt euch einen harten Ladestopp bei 80-Prozent setzen – für die potenzielle Langzeit-Schonung.
Wenn ihr dann noch optimiertes Laden einschaltet (➝ Einstellungen ➝ Akku ➝ Battery Health), muss man sich wirklich keine weiteren Gedanken machen. Die Akkupflege ist eure Zeit (und Gedankenkraft) nicht wert.
Alle Witze über die diesjährigen Gehäusefarben sind bereits gerissen. Anstelle sich dort einzureihen, und das Wort „Farben“ etwa in Anführungszeichen zu setzen, sei das zweifellos edle Erscheinungsbild betont.
Ja, ein zusätzlicher – knalliger – und nicht so bierernster Farbton stände nicht im Konflikt mit der bestehenden Produktlinie. Aber egal, ob ihr Schwarz, Weiß, Blau oder Natur wählt: Es bleibt hübsch und insgesamt bemerkenswert, wie punktgenau, zuverlässig und mit welcher Qualität Apple diese Hardware jedes Jahr abliefert.
Damit endet mein Fotospaziergang durch Helsinki, aber es beginnt mein (langes) (Software-)Jahr mit dem iPhone 15 Pro Max.